Dieser Artikel, der leicht gekürzt in der Zeitschrift wildcat (#83, März 2009) erschien, schildert den Zusammenhang von Krise und Klassenkämpfen in China in den letzten zwei Jahrzehnten sowie die aktuelle Krisenentwicklung. Er konzentriert sich auf die Situation in den Städten, insbesondere die der WanderarbeiterInnen. Formiert sich in den gegenwärtigen sozialen Umwälzungen eine Weltarbeiterklasse, die der kapitalistischen Produktionsweise den Todesstoß versetzen kann? Bei der Beantwortung dieser Frage spielen die Klassenkämpfe in China eine bedeutende Rolle. China, mit über 1,3 Milliarden Menschen das größte Land der Welt, ist in den letzten Jahren zur drittgrößten Ökonomie aufgestiegen. Durch die Öffnung und Industrialisierung in den achtziger und neunziger Jahren entwickelte sich China zum Fließband der Welt, eingebunden in globale Zirkulations- und Produktionsketten, und tritt heute weltweit als Investor und Kreditgeber mit Ambitionen zum global player auf. Der immense Industrialisierungsprozess hat in den letzten zwanzig Jahren Millionen WanderarbeiterInnen vom Land in die Städte und Sonderwirtschaftszonen gezogen, wo sie in den Fabriken, auf dem Bau, als Hausangestellte usw. arbeiten. Ihre Kämpfe haben seit 2003 deutlich an Dynamik gewonnen und setzen das Regime unter Druck. Die weltweite Krise ist nun dabei, die sozialen Beziehungen in China erneut umzuwälzen. Die Kommunistische Partei versucht, mit den Auswirkungen der Krise fertig zu werden. Schafft sie das nicht, wird das Regime und die Kapitalherrschaft in China schwächen und möglicherweise zersetzen, was große Auswirkungen auf die übrige Welt hätte.
Krise und Kämpfe
Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn die Kommunistische Partei Chinas in eine Krise stürzte, nicht durch den Zusammenbruch des Kommunismus 1989, sondern durch die krampfhaften Zuckungen des Kapitalismus des Jahres 2009. (Financial Times, 16.12.2008)
Die chinesische Führung ist zunehmend besorgt über die Abkühlung der eigenen Wirtschaft und die steigende Gefahr von Protesten arbeitsloser ArbeiterInnen. Die Politiker “sind schon in einem Zustand der Panik”, sagte Qu Hongbin, Chefvolkswirt der HBSC. (International Herald Tribune, 23.01.2009)
Der Aufstieg Chinas, die Industrialisierung und die Wanderung von Millionen in die Städte sind Folge mindestens zweier Prozesse von kapitalistischer Krise und Klassenkampf. Nach dem Kampfzyklus der späten sechziger und frühen siebziger Jahre in den Industriezentren Europas und Amerikas und darüber hinaus suchte das Kapital weltweit nach profitablen Anlagemöglichkeiten. Es investierte unter anderem in sogenannten Schwellenländern, wo es die zunächst noch “billigen” Arbeitskräfte ausbeutete. Schon in den achtziger Jahren kam es aber auch dort zu Arbeiterkämpfen, die Lohnsteigerungen und eine Erhöhung des Lebensniveaus durchsetzten, zum Beispiel in Brasilien und Südkorea. Anfang der neunziger Jahre war das Kapital also wieder auf der Suche nach “billigen” Arbeitskräften, wollte mit einem weiteren “räumlichen fix” (David Harvey) den Arbeiterkämpfen in den sogenannten Schwellenländern entkommen.1 Die WanderarbeiterInnen Chinas kamen dem Kapital gerade recht. Gleichzeitig war das chinesische Regime an einem Punkt, an dem es das ausländische Kapital brauchte:
China erlebte Ende der achtziger Jahre einen Kampfzyklus.2 Von den Reformen der frühen achtziger Jahre hatte die städtische Arbeiterklasse kaum oder gar nicht profitiert. Die Umstrukturierung und Arbeitsintensivierung in den staatlichen Kombinaten, Arbeitslosigkeit und Inflation setzten diese unter Druck und führten zu Unmut und Streiks. 1989 gipfelte dies in der Tian’anmen-Bewegung, ausgelöst und angeführt von den StudentInnen in der Hauptstadt Beijing, aber getragen von der Wut der städtischen Bevölkerung. In vielen Städten Chinas kam es zu Demonstrationen und Aufständen, in Ansätzen auch zur Bildung autonomer Arbeiterorganisationen. Das Regime ließ die Bewegung militärisch niedermetzeln. Es erkannte aber auch, dass der bisherige Reformkurs keine entscheidende wirtschaftliche Verbesserung gebracht hatte und weitere Krisen zu erneuten sozialen Tumulten führen könnten. Deswegen öffnete es ab 1992 die Grenzen für ausländische Investitionen und Technologieimporte weiter, schuf neue Sonderwirtschaftszonen, förderte die Privatwirtschaft und subventionierte den Industrialisierungsprozess. Die städtische Arbeiterklasse wurde ebenso wie die Bauern und die neuen WanderarbeiterInnen polizeilich in Schach gehalten.3 Aus anderen Regionen, vor allem aus den Tigerstaaten und Südostasien, wurden Konsumgüterindustrien nach China verlagert, der Aufbau des Fließbands der Welt begann.
Klassenformierung
Von Mitte der neunziger Jahre bis Anfang diesen Jahrzehnts bestimmten noch die Kämpfe der alten städtischen Arbeiterklasse die Klassenkonflikte in China. Während der Industrialisierung im Sonnengürtel Chinas wurden in den Rostgürteln der alten Staatsindustrien riesige Mengen Kapital vernichtet und ganze Regionen von einer Krise in die nächste geworfen. Die Belegschaften kämpften gegen die Zerschlagung der sozialistischen Industriekombinate und für den Erhalt ihres Lohn- und Sozialleistungsniveaus – mit Streiks, Betriebsbesetzungen und Aufständen. Letztlich konnten sie den Prozess aber nur verzögern: Durch Massenentlassungen und Umstrukturierungen fanden sich insgesamt etwa fünfzig Millionen (40 Prozent) von ihnen auf der Straße wieder. Ein Teil gehört heute zum städtischen, prekären Armutsproletariat.4
Der Boom und die Proletarisierung großer Teile der jungen LandbewohnerInnen ab Anfang der neunziger Jahre führte zur Herausbildung einer neuen Arbeiterklasse der jungen WanderarbeiterInnen. Ihre Zahl nahm stetig zu und liegt heute bei geschätzten 150 bis 200 Millionen. Sie können sich nicht dauerhaft in den Städten niederlassen, sondern haben aufgrund der sogenannten Haushaltsregistrierungsgesetze (hukou) lediglich vorübergehende Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse für die Stadt, eine Situation ähnlich der außereuropäischer MigrantInnen in der Europäischen Union. Die in diesem Jahrzehnt in die Städte drängende zweite Generation dieser WanderarbeiterInnen orientiert sich am Stadtleben und will in der Regel nicht mehr dauerhaft aufs Land zurück (anders als die erste Generation vor ihr). Da sie ihre Perspektive in der Stadt sehen, verkaufen oder verpachten sie das Stück Acker, dass ihnen auf dem Land zusteht.5
Ab 2003, also etwa zehn Jahre nach Beginn des Industrialisierungsschubs, nahmen die Kämpfe der WanderarbeiterInnen stetig zu, gegen die horrenden Ausbeutungsbedingungen, um Verbesserungen und Lohnerhöhungen, um die Teilhabe an den Früchten des Booms. Die zweite Generation organisierte Petitionen, Kundgebungen, Streiks, Bummelstreiks, Demonstrationen und Riots, setzte die ausländischen und chinesischen Fabrikbosse unter Druck und erkämpfte sich in den Exportzonen höhere Löhne.
Überlappende Prozesse
Die Symptome der aktuellen Krise (Kreditklemme, Rückgang des US-Konsums, Ausbleiben von Aufträgen, Rückgang des Welthandels…), die zu Entlassungen und sozialen Konflikten führen, überlagern sich mit Entwicklungen, die schon früher anfingen. Die stetigen Lohnzuwächse in der Industrie, aber auch die hohe Nachfrage nach Energie, Rohstoffen und Lebensmitteln, gepaart mit der langsamen Aufwertung des Yuan im Vergleich zum Dollar, zogen ab 2006 erhebliche Preiserhöhungen nach sich – und damit höhere Produktionskosten und Druck auf die Profite. Die Unzufriedenheit mit den Löhnen und später den steigenden Preisen trug zu einer deutlichen Zunahme der Wanderarbeiterkämpfe bei. Die Regierung sah sich gezwungen, die Mindestlöhne regelmäßig zu erhöhen. Schon gab es erste Versuche eines erneuten “räumlichen fix”: Seit Ende 2007 wurden – als Reaktion auf die höheren Löhne und Kosten – vermehrt Betriebe geschlossen oder verlagert, zum Beispiel Teile der Textil- und anderer Konsumgüterindustrien ins chinesische Hinterland oder nach Vietnam (wo jetzt auch die Kämpfe von FabrikarbeiterInnen deutlich zunehmen).
Gleichzeitig gefährdete die legal/scheißegal-Haltung der Kapitalisten, die die Arbeitsgesetze systematisch unterlaufen, zunehmend die Legitimation des KP-Regimes. Die chinesische Zentralregierung versucht seit Jahren, die sozialen Konflikte der Wanderarbeit zu entschärfen, durch direktes staatliches Eingreifen bei Streiks, durch Beschwerde- und Schlichtungsverfahren, durch flexibles Anwenden der Arbeitsgesetze und die Öffnung der Staatsgewerkschaften für WanderarbeiterInnen. Schon seit 2003 trägt die Kommunistische Partei die Losung von der “Harmonischen Gesellschaft” vor sich her, um ArbeiterInnen und Bauern für den Aufbau der “Sozialistischen Marktwirtschaft” zu mobilisieren. Mit mäßigem Erfolg, zu prekär ist die Lage der ArbeiterInnen, zu groß sind die Erwartungen, und viele lassen sich nicht weiter billig abspeisen.
Die Regierung erließ im Januar 2008 das neue Arbeitsvertragsgesetz, das das Arbeitsgesetz von 1995 um einige Sanktionsmechanismen ergänzte. Beim Inkrafttreten warfen inländische und ausländische Unternehmen im Niedriglohnsektor ArbeiterInnen hinaus, um deren Festanstellung zu verhindern, andere kündigten die Schließung und Verlagerung ihrer Unternehmen an. Viele ArbeiterInnen versuchten, den neuen rechtlichen Rahmen zu nutzen, verlangten Arbeitsverträge und Lohnerhöhungen. AktivistInnen aus dem Perlfluss-Delta berichteten schon Anfang 2008 von einer Zunahme der Konflikte im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz, später wurde das durch offizielle Zahlen bestätigt.6
Die aktuelle Krise
In Chinas herrschender Klasse gab es noch im Sommer 2008 die Meinung, die weltweite Krise würde an ihrem Land vorbeiziehen und die chinesische Wirtschaft hätte genug Eigendynamik – gar von “Abkopplung” wurde gesprochen. Gemeint ist die Abkopplung vom Kriseneinbruch in den USA.7 Paradoxerweise setzten auch westliche Apologeten des Kapitals nach der Zuspitzung der Krise auf eine “chinesische Lösung”, wie auf die Nutzung der chinesischen Währungsreserven oder die Kraft des chinesischen Wirtschaftswunders. Der Traum von der Abkopplung ist schnell geplatzt und die Hoffnungen im Westen auf China (und die anderen BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien) haben sich zerschlagen. Die hohe Exportquote der chinesischen Industrieproduktion – vor allem in die EU und die USA, nach Japan und in die Tigerstaaten – macht Chinas Wirtschaft extrem krisenanfällig.8 Im Herbst 2008 kam die Bestätigung: Einbruch des Wirtschaftswachstums, Einbruch des Wachstums der industriellen Produktion, Rückgang der Exporte, Rückgang der Investitionen, Rückgang des Energieverbrauchs, Rückgang der Staatseinnahmen usw. Das alles nach 15 Jahre Boom mit jährlichen Wachstumsraten von durchschnittlich zehn Prozent.9 Da auch Japan, Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur und Vietnam von der Krise erfasst wurden, brach der Handel zwischen den Ländern ein. Dazu kam, ebenfalls im Herbst, das Platzen der Immobilienblase in China.
Die Haltung innerhalb der KPCh zur Krise ist nicht einheitlich. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen denen, die die Krise nutzen wollen, um die Wirtschaft zu modernisieren, und dabei auch soziale Verwerfungen riskieren würden (Regierungen der reichen Ostprovinzen wie Guangdong und Shanghai), und denen, die den Erhalt des China-Modells (Exportfabriken für billige Konsumgüter) wollen, auch in der Hoffnung, so die soziale Lage ruhig halten zu können (Zentralregierung).10 Als im Herbst 2008 die Krisensymptome deutlicher sichtbar wurden, meinten einige, dass die Krise vor allem eine Chance sei: So sprach zum Beispiel die Provinzregierung von Guangdong davon, dass mit der Krise die schwachen und zu kleinen Firmen dichtmachten, was dem Prozess der Umstrukturierung und des Upgradings der Industrien im Perlfluss-Delta zugute käme. Sie will eine weitere Auslagerung der Produktion billiger Konsumgüter und den Ausbau von HiTech- und Produktionsgüter-Industrien in der Region.11
Die Drohungen mit Firmenschließungen und Verlagerungen, die Beschwerden der Unternehmen über zu hohe Löhne und das neue Arbeitsgesetz, all das begann schon vor der globalen Krise (s.o.). Jetzt benutzen die Kapitalisten die Krise, ob sie sie selbst betrifft oder nicht. Sie drücken die Löhne, ziehen Schließungen und Verlagerungen durch, greifen staatliche Unterstützungszahlungen ab und setzen eine Duldung ungesetzlicher Arbeitsbedingungen durch.12 Ein Vertreter einer Arbeitgebervereinigung in Guangzhou sagte in einem Interview im November: “Ich fordere die Zentralregierung auf, weniger strikte und günstigere Vorschriften zu erlassen, um den ausländischen kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen, die Rezession zu überstehen.”13 Er meinte damit die Lockerung der Arbeitsgesetze. Im Januar berichteten Industrielle im Perlfluss-Delta, dass die Anwendung des Arbeitsvertragsgesetzes von 2008 kaum noch überwacht und durchgesetzt wird.14 Ein Arbeiteraktivist sagte: “Die Regierung will, dass die Fabriken überleben und hier bleiben. Deswegen schauen sie über eine Menge Probleme hinweg.”15
Das Regime hat für 2009 eine erneute Anhebung des Mindestlohns durch die regionalen Regierungen verboten, um weitere Lohnerhöhungen zu verhindern (nach jahrelangen, zum Teil deutlichen Erhöhungen). Viele große Unternehmen haben Lohnsenkungen angekündigt, mit Duldung der Regierung. Ende Januar forderte ein Regierungsvertreter, dass die chinesischen Firmen alles tun sollten, um Entlassungen zu vermeiden.16
Schon im November 2008 berichteten AktivistInnen und WanderarbeiterInnen im Perlfluss-Delta, dass sie unterbeschäftigt waren oder entlassen wurden, vor allem im Textil- und Spielzeugsektor.17 Leute mit befristeten Anstellungen wurden abgebaut, Kernbelegschaften erstmal gehalten, allerdings oft ohne Überstunden und mit unregelmäßigen Arbeitszeiten. Einige wurden auch aufgefordert, unbefristeten und unentlohnten Urlaub zu nehmen.18
Zum Ausmaß der schon erfolgten Entlassungen und der Rückwanderung der WanderarbeiterInnen aufs Land gibt es bisher keine verlässlichen Zahlen. Im November bereiteten sich einige Provinzen schon auf Rückwanderwellen vor (Hubei, Chongqing, Anhui), aber Offizielle vor allem in Guangdong bestritten, dass es schon eine solche Welle gäbe. Einige gingen zurück aufs Land – es wurde über fünf bis zehn Prozent aller WanderarbeiterInnen spekuliert. Mitte Januar meldete das Arbeitsministerium, dass über zehn Millionen WanderarbeiterInnen ihren Job verloren hätten, Anfang Februar hieß es dann, es seien schon 20 Millionen.19
Neue Kämpfe
Während sich im Spätsommer 2008 die Krise offen zu entfalten begann, brachen weiter Kämpfe aus. Die Aktionen von TaxifahrerInnen und LehrerInnen sind interessant, weil die Kämpfe in einer Provinz ganz offensichtlich weitere Auseinandersetzungen in anderen Teilen des Landes auslösten (copycat-Effekt). In den industriellen Exportzonen im Perlfluss- und im Yangtse-Delta kam es Ende 2008 und Anfang 2009 zu vielen Kundgebungen und Riots. Die Konfliktpunkte hatten sich im Vergleich zu den Auseinandersetzungen vorher geändert: Kämpfe drehten sich nicht mehr so sehr um Lohnerhöhungen, bessere Bedingungen in den Wohnheimen, Einhaltung des Arbeitsgesetzes, besseres Kantinenessen usw., sondern in noch stärkerem Maße als vorher um die Zahlung ausstehender Löhne und gesetzlich vorgeschriebener Abfindungen bei Betriebsstilllegungen oder Entlassungen. Auch im Bausektor gab es Demonstrationen.20 Beobachter sind sich einig, dass es seit Herbst 2008 mehr Konflikte gegeben hat als vorher. Selbst ein Vertreter der Staatsgewerkschaft ACFTU räumte ein, dass Arbeitskämpfe in China im Zuge der weltweiten Finanzkrise zugenommen haben. Genaue Zahlen dazu gibt es aber nicht.21
Angesichts eines drohenden Wirtschaftskollaps und einer möglichen sozialen Explosion muss das Regime der Kommunistischen Partei erneut reagieren. In Chinas Geschichte wurden die Herrschenden schon vielfach in ähnlichen Krisensituationen von sozialen (Bauern-)Bewegungen vom Thron gestoßen, vor allem, wenn diese sich mit Intellektuellen und Beamten zusammentaten. Jetzt droht die Herrschaft der KPCh in der Krise unterzugehen.
Nach innen tut das Regime weiter so, als hätte es alles im Griff. Es bezeichnet die Krise als vorübergehend, sie soll nur ein halbes Jahr dauern. Die Arbeitslosigkeit und andere Folgen der Krise gefährdeten die “soziale Stabilität”, die Regierung würde aber geeignete Maßnahmen ergreifen – ökonomische wie polizeiliche. Berichte über konkrete Arbeiterkämpfe werden weiterhin zensiert und unterdrückt.22
Nach außen hin kommen die Berichte über die drohenden Unruhen arbeitsloser WanderarbeiterInnen der Regierung allerdings entgegen. Soziale Tumulte in China, das ist für die Herrschenden überall ein Alptraum. Diese Bedrohung hält die chinesischen Regierung der US-Regierung und anderen vor, wenn diese eine deutliche Aufwertung des Yuan fordern.
Um die Ausbreitung der Kämpfe zu bremsen, griff der Staat bei den Fabrikauseinandersetzungen der letzten Wochen um ausstehende Löhne und Abfindungen sofort ein und übernahm Geldauszahlungen. Viele Städte und Industriezonen haben Sonderfonds eingerichtet, mit denen schlingernde Firmen vor dem Zusammenbruch gerettet, Entlassungen verhindert und Lohnrückstände beglichen werden sollen. In manchen Städten bekommen WanderarbeiterInnen eine finanzielle Unterstützung, wenn sie die Stadt verlassen. Der Staat pumpt zudem mit einem Konjunkturprogramm 4 Billionen Yuan (fast 500 Milliarden Euro; 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Chinas) in Infrastrukturprojekte und den Wohnungsbau, um den Zusammenbruch der Bauindustrie zu verhindern, die Zunahme der Arbeitslosigkeit zu begrenzen und einen weiteren Rückgang des Wirtschaftswachstums zu stoppen.23 Bei einem Wachstum unter acht Prozent können angesichts des Bevölkerungswachstums und der weiter vom Land in die Städte drängenden Menschen nicht genug Arbeitsplätze geschaffen werden, um alle zu beschäftigen. Wachstum unter sechs Prozent gilt als kritisch.24 Ende Januar 2009 kündigte die Regierung an, bis 2011 eine umfassende Krankenversorgung zu gewährleisten und dafür 850 Milliarden Yuan (circa 100 Milliarden Euro) aufzubringen, um weiteren sozialen Sprengstoff zu vermeiden. Ursprünglich sollte das bis zum Jahr 2020 geschehen.
Aussichten
Das Regime spielt auf Zeit, will eine Verschärfung der Krise hinauszögern oder gar eine “weiche Landung” hinkriegen. Damit will sie auch verhindern, dass sich die Situation der WanderarbeiterInnen in der Stadt dramatisch zuspitzt. Ein großer Teil, vor allem in den Fabriken und auf dem Bau, lebt in Wohnheimen, die den Unternehmen gehören, und wird über die Firmenkantinen ernährt. Falls es zu Massenentlassungen kommt, verlieren diese ArbeiterInnen nicht nur den Job, sondern auch Unterkunft und Verpflegung. Mitte Februar war das Neujahrsfest, und viele WanderarbeiterInnen fuhren wie jedes Jahr nach Hause. Offen ist, was jetzt bei ihrer Rückkehr passiert. Erste Meldungen sprechen davon, dass sie Schwierigkeiten haben, Jobs zu finden, und die Löhne weiter gesunken sind.25 Einige Betriebe sind dazu übergegangen, nur Leute noch tageweise einzustellen und zu entlohnen.26 Wenn die Krise anhält und sie in die Stadt keine Arbeit mehr finden, wird ihnen klar werden, dass der Boom vorbei ist und das ihr Leben drastisch ändern wird. Es gibt zwei Szenarien:
a) Die zweite Generation der WanderarbeiterInnen will nicht mehr auf dem Land leben, zumindest sieht sie da nicht ihre Zukunft. Sie könnten also in der Stadt bleiben und müssten sich, sofern arbeitslos, Alternativen für die Beschaffung von Einkommen, Unterkünften und Lebensmitteln suchen, sich diese aneignen oder erkämpfen. In vielen Großstädten stellen sie dreißig bis achtzig Prozent der Bevölkerung. Dazu kommen die Millionen städtischen Armen, die sich mit Kleinhandel und Minijobs über Wasser halten. Wird es gemeinsame Kämpfe geben?
b) Die WanderarbeiterInnen könnten zurück zu ihren Familien aufs Land gehen, wo sie noch das Recht auf eine Parzelle haben. Möglicherweise können sie auch eine Zeit lang von Erspartem leben, aber das Ausbleiben der städtischen Löhne wird die Familien mittelfristig in die Krise treiben. Es gibt keine Jobs, keine Perspektive, Armut und Langeweile.27 Auf dem Land kam es in den letzten Jahren zu vielen Aufständen gegen die korrupten Kader, Landvertreibungen und Landverseuchungen. Schon jetzt reicht in vielen Regionen die kleinen Parzellen kaum zur Versorgung der ganzen Familie aus, und es gibt weiterhin einen ländlichen Arbeitskräfteüberschuss. Daran werden auch die angekündigten staatlichen Unterstützungen für Weiterbildungen, Schulgebühren und Existenzgründungen wenig ändern. Falls die WanderarbeiterInnen massenweise zurück aufs Land gehen – das wäre eine vorübergehende Umkehrung der Urbanisierungstendenz der letzten 30 Jahre –, entsteht eine explosive soziale Mischung.28
Viele Experten rechnen mit einer Rezession in China und einem Wirtschaftswachstum von fünf bis sieben Prozent, also unter der “kritischen” Grenze. Möglicherweise wird es zu einer Fabrikschließungswelle kommen. Ein Drittel aller Exportfabriken sollen in den nächsten drei Jahren dichtmachen. Ein Beobachter schätzt, dass dieses Jahr die Zahl der arbeitslosen WanderarbeiterInnen 50 Millionen erreichen könnte. Diese seien jünger und mobiler, als die Ende der neunziger Jahre entlassenen städtischen ArbeiterInnen der staatlichen Kombinate und könnten über Internet und Handys schneller kommunizieren. Dazu kämen einige Millionen arbeitsloser Akademiker, die dieses Jahr ihr Studium beenden und keinen Job finden werden. In dem Zusammenhang verweist er auf eine ähnliche Situation vor der Tian’anmen-Bewegung 1989, in der StudentInnen eine zentrale Rolle spielten (und die sich in diesem Jahr zum zwanzigsten Male jährt). Als möglichen Auslöser für eine soziale Explosion führt er an: “Der Tod eines populären Führers, eine große Naturkatastrophe, die Ausbreitung einer ansteckenden und tödlichen Krankheit, eine kleine Studentendemonstration, die gewalttätig wird, religiöse Gruppen…”. Ein Griechenland-Szenario?29
Fest steht, dass die WanderarbeiterInnen zunächst von der Krise überrascht worden sind und bisher kaum längere Phasen von Rezession und Arbeitslosigkeit erlebt haben. Andererseits haben sie in den letzten Jahren Kampferfahrungen gesammelt, mit Formen alltäglichen Widerstands, Streiks, Selbstorganisation. Es haben sich AktivistInnen herausgebildet, die diese Erfahrungen weitergeben und in neue Kämpfe einbringen. Sie kennen die Komplizenschaft von Kapitalisten und Kadern, die Konfrontation mit Wachschützern und Bereitschaftspolizei. Die WanderarbeiterInnen stellen selbstbewusst Ansprüche. All dies bringen sie ein in neue soziale Zusammensetzungsprozesse, die in und mit der Krise entstehen.
Entscheidend wird auch sein, wie sich Chinas “Mittelschicht” verhält. Sie, die Stütze der KP-Herrschaft, ist bereits von der Krise betroffen, hat sie doch in den Crashs von Aktien- und Immobilienmarkt viel Geld verloren. Viele ihrer Kinder kommen von den Universitäten und finden keinen Job. Es gab schon Aktionen von unglücklichen Aktienbesitzern und Ladeninhabern. Kann es aber zu einem Zusammenkommen von proletarischen, bäuerlichen und “Mittelschicht”-Kämpfen kommen (Argentinien-Szenario)? Die Regierung betont die drohende “soziale Instabilität” durch arbeitslose WanderarbeiterInnen und schürt so die Ängste der Intellektuellen und der “Mittelschicht” vor dem “Mob”, um einer möglichen Allianz vorzubeugen.30
Das Regime versucht noch, Blutvergießen zu vermeiden. Bei den Auseinandersetzungen im Dezember im Perlflussdelta hielt sich die Polizei zurück, machte Fotos und nahm später Beteiligte fest.31 Das alte Spiel: Die KPCh sorgt dafür, dass einige Forderungen erfüllt werden, und verhaftet die angeblichen “Rädelsführer”.32 Solange die Kämpfe noch vereinzelt bleiben, mag das funktionieren. Sollte es aber eine Welle von Unruhen geben, wird das Regime anders reagieren müssen.
Auswirkungen
Teile der Linken in Europa und den USA projizieren ihre Hoffnungen auf die neue Arbeiterklasse in China und sahen schon die Konflikte im Herbst als Vorboten eine breiten Klassenbewegung. Wir können das Ausmaß und die Bedeutung der kommenden Kämpfe in China natürlich nicht vorhersehen. Die ArbeiterInnen sind dabei, die neue Situation zu begreifen und sich zurechtzufinden. Es ist durchaus möglich, dass Massenentlassungen in den Industriezonen und Kriseneinbrüche in ländlichen Gebieten zu massenhaften Revolten führen, es ist aber auch denkbar, dass die ländliche Subsistenzwirtschaft zusammen mit den Ersparnissen der WanderarbeiterInnen die Wucht der Krise abfedert… zumindest für einige Zeit.
Eine soziale Zuspitzung in den Exportzonen Chinas hätte weltweit Auswirkungen, nicht nur in den alten Industrieländern. Chinas billige Konsumgüter waren eine Voraussetzung dafür, dass die Prekarisierung großer Teile der ArbeiterInnen nicht zu einer deutlicheren Herabsetzung des Lebensstandards geführt hat. Die Krise, der Zusammenbruch des internationalen Handels und die Kämpfe der ArbeiterInnen in China könnten jetzt zu einem Einbruch des Lebensstandards und einer Zuspitzung der sozialen Lage führen… und zu einer Zunahme der ArbeiterInnenkämpfe.
Zentrale Branchen, wie die Automobil-, die Chemie- und die Maschinenbauindustrie, haben zudem stark in China investiert und hängen über die weltweiten Produktionsketten eng mit der Wirtschaft Chinas zusammen. Sollte es dort zu Kämpfen kommen, werden die Auswirkungen in diese Industriesektoren spürbar sein: weitere Angriffe auf die Bedingungen und Löhne, Massenentlassungen.
Sollte schließlich das Produktions- und Konsumtionsgefüge zwischen China und den USA (“Bretton Woods II”)33 – zugleich Rückgrat und Achillesferse des globalisierten Wirtschafts- und Währungsgefüges – aufgrund von Kreditkrise und Konsumrückgang in den USA oder aufgrund von ArbeiterInnenkämpfen in China zugrunde gehen, drohen weltweite Verwerfungen, die weit über das hinausgehen, was wir bisher gesehen haben: Zusammenbruch des Dollars und des Weltwährungssystems, Bankrott der Hegemonialmacht USA, anhaltender Zusammenbruch des Welthandels, zunehmende kriegerische Auseinandersetzungen und anderes mehr.
Was tun?
Wir sollten die Prozesse dort verfolgen, um sie zu verstehen und hier in die Diskussionen sowohl der Klassenlinken als auch neuer Klassenbewegungen einzubringen. Wir müssen die weltweiten Zusammenhänge von Krise und Kämpfen erkennen und deutlich machen. Dabei geht es auch darum, bürgerlichen Krisenerklärungen und nationalistischen Tendenzen den Boden abzugraben. Mit Strategien der Angst (vor der Krise) werden wir auf das Gürtelengerschnallen vorbereitet. Wir sollen Angst haben vor den Fremden, wie den billigen ChinesInnen, die uns die Jobs wegnehmen, Schuld waren an den Preissteigerungen und auch noch alle Auto fahren wollen. Wir müssen dagegen herausstellen, welche Chancen sozialer Umwälzung in der Krise und den Kämpfen entstehen, wie ProletarierInnen aus allen Ecken der Welt voneinander mitkriegen und lernen können. Die Zirkulation der Kämpfe und die Entstehung sozialer Netzwerke kann dann zur Formierung einer Arbeiterklasse auf Weltebene führen. Auch wenn wir noch ein weites Stück davon entfernt zu sein scheinen, – zu groß sind die Unterschiede bei den Lebensbedingungen weltweit – ist das doch die Richtung, die verspricht, dem Kapitalismus in China wie überall den Garaus zu machen: Nur eine weltweite Klassenbewegung hat die Macht, die kapitalistische Krisendynamik zu brechen und eine neue solidarische Gesellschaft zu schaffen.
8. März 2009
Fußnoten:
1 Der “räumliche fix” erscheint dabei auch als Resultat “innerkapitalistischer” Konkurrenz, wie das Robert Brenner und andere deuten, dahinter steht aber das gemeinsame Interesse aller Kapitalisten, die Ausbeutungsbedingungen weiter zu verschärfen oder dorthin zu gehen, wo sie für das Kapital günstiger sind. Als Auslöser der aktuellen Krise ist zudem der “finanzielle fix” entscheidend, die zunehmende Finanzialisierung des Kapitals seit den siebziger Jahren, Reaktion auf den Mangel an profitablen Anlagemöglichkeiten in produktiven Sektoren.
2 Die Hintergründe für den Wandel in China seit den siebziger Jahren sind komplex: das gesellschaftliche und politische Chaos der Kulturrevolution, die Armut und Unzufriedenheit der Bauern und später auch der städtischen Arbeiterschaft, die Ablösung ideologischer Altmaoisten durch eine Schicht pragmatischer Parteiführer, die sozialen Auseinandersetzungen der achtziger Jahre mit dem Höhepunkt der Tian’anmen-Bewegung 1989, die Entschlossenheit des Regimes, einen Zusammenbruch wie in der Sowjetunion zu verhindern, u.a.m..
3 Gleichzeitig begann eine Umgestaltung der sozialen Beziehungen, die mit der Zerlegung der staatlichen Kombinate notwendig wurde, darunter auch die Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen (Gewerkschaftsgesetz, Arbeitsgesetz, usw.).
4 Siehe wildcat-Beilage “Unruhen in China” (www.gongchao.org/de/unruhen-heft) und dort insbesondere die Artikel zu den städtischen ArbeiterInnen (www.gongchao.org/de/unruhen-heft/Kombinate) und den WanderarbeiterInnen (www.gongchao.org/de/unruhen-heft/migrantinnen).
5 Diese Praxis wurde im Oktober 2008 durch die Regierung “legalisiert”, die ankündigte, die Verpachtung oder Weitergabe von Landrechten freizugeben. Diese Entwicklung gewinnt jetzt an Brisanz, weil viele WanderarbeiterInnen ohne eigene Landrechte gar nicht mehr die Chance haben, sich auf dem Land zu ernähren, wenn sie arbeitslos werden oder aus der Stadt abgeschoben werden sollen.
6 Nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und Soziales nahmen die Schlichtungsverfahren bei Arbeitskonflikten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2008 im Vergleich zum Vorjahr in Chongqing um 145 Prozent zu, in Shanghai um 92,5 Prozent (Nanfang Zhoumo [Southern Weekly], 31.07.2008). Im selben Zeitraum stiegen die Arbeitsgerichtsverfahren in Guangdong um 157,7 Prozent auf etwa 40.000 (China Daily, 22.07.2008, www.chinadaily.com.cn/china/2008-07/22/content_6865144.htm). In Beijing gab es zwischen Januar und September 2008 etwa 33.000 Schlichtungsverfahren, 104 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2007 (siehe Beijing Review, 20.01.2009, www.bjreview.com.cn/nation/txt/2009-01/20/content_175296.htm).
7 Financial Times, 16.12.2008. Der Handel mit den USA funktioniert nach einem Muster, das auch “Bretton Woods II” genannt wird und ein Schlüsselelement der gegenwärtigen Krise ist: Kunden in den USA kaufen bei Firmen in China Waren und bezahlen mit US-Dollar, die die Verkäufer bei chinesischen Banken deponieren. Diese gibt die Dollars an die chinesische Zentralbank weiter, die damit US-amerikanische Staatsanleihen kauft, also vom US-Saat garantierte Schuldverschreibungen. Danach wandern die Dollars dann über das amerikanische Bankensystem als Kredite an amerikanische Haushalte, die damit wieder chinesische Waren kaufen usw. Das läuft auf eine extreme Schieflage der Leistungsbilanz Chinas (mehr Exporte als Importe) und der USA (mehr Importe als Exporte) hinaus. Anders gesagt: China produziert wesentlich mehr, als es konsumiert, die USA konsumieren wesentlich mehr, als sie produzieren… und bezahlen ihren Konsum mit Geld, das sie erst China für dessen Waren gegeben haben, um es dann als Kredit von China wieder zu bekommen.
8 Die Exporte repräsentieren 40 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts, der Exportüberschuss macht 12 Prozent aus (nach 2 Prozent vor ein paar Jahren; http://cnreviews.com/china_economy/china_financial_crisis_20081125.html)
9 Mit einer kleinen Delle um die Asienkrise 1997/8, die China aber weitgehend unbeschadet überstand, weil der Yuan nicht frei konvertibel war (und ist), wegen eines staatlichen Konjunkturprogramms und weil China aus der Krise anderer asiatischer Staaten Vorteile schlug.
10 So soll es zu einem Streit gekommen sein zwischen der Zentralregierung und den Provinzchefs aus Guangdong und Shanghai, weil letztere die staatliche Subventionierung der Textil-, Spielzeug- und Elektronikindustrie ablehnen (Die Zeit, 05.02.2009).
11 Siehe dazu: www.iht.com/articles/ap/2008/10/20/business/AS-China-Factory-Woes.php
12 Siehe dazu auch Staphany Wong: Impacts of the Financial Crisis on Labour Conditions in China, 19.12.2008, auf: www.eu-china.net
13 China Daily, 11.11.2008, www.chinadaily.com.cn/cndy/2008-11/11/content_7191436.htm
14 CSMonitor.com, 28.01.2009, www.csmonitor.com/2009/0128/p04s01-woap.htm.
Siehe auch: http://www.ihlo.org/LRC/WC/010309.html
15 The Straits Times, 20.01.2009
16 The Straits Times, 20.01.2009
17 Siehe auch South China Morning Post, 17.11.2008. Hier überlagern sich wieder Prozesse: Der Spielzeugsektor ist auch von den Umweltskandälen betroffen, der Textilsektor durch die Verlagerung nach Vietnam (siehe auch China Labour Bulletin: Migrant workers worst hit by textile factory slowdown, www.clb.org.hk/en/node/100322).
18 Quelle: Gespräche mit ArbeiterInnen vor Ort. Beim erzwungenen “Urlaub” liegt die Vermutung nahe, dass die Unternehmer Entlassungen vermeiden wollen und darauf setzen, dass ArbeiterInnen selber kündigen und dann keinen Anspruch auf Abfindungen haben oder durchsetzen können.
19 Auch die Arbeitslosenzahl in der Stadt ist gestiegen. Sie liegt nach offiziellen Angaben bei 4,2 Prozent, nach Schätzungen der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften aber schon bei 9,4 Prozent (The Straits Times, 20.01.2009). Dabei werden aber nur die Menschen mit städtischem hukou gezählt. Die Arbeitslosigkeit auf dem Land wird auf bis zu 20 Prozent geschätzt (Washington Post, 13.01.2009, www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2009/01/12/AR2009011203014.html)
20 Ein Beispiel: http://uk.reuters.com/article/latestCrisis/idUKPEK226188
21 Chinacsr.com, 13.01.2009, www.chinacsr.com/en/2009/01/13/4173-acftu-campaigns-for-chinese-workers-back-pay/ Die Regierung hat schon vor Jahren die regelmäßige Veröffentlichung von Zahlen über soziale Unruhen eingestellt.
22 Die Sunday Times berichtete am 01.2.2009, dass in Linfen, Shanxi, TV-Journalisten entlassen wurden, nachdem sie versucht hatten, über eine Fabrikbesetzung von 6.000 TextilarbeiterInnen zu berichten (http://business.timesonline.co.uk/tol/business/economics/article5627687.ece).
23 Zwei Drittel der Summe sollen allerdings Provinzen und Kommunen stellen, die Schwierigkeiten haben könnten, soviel Geld aufzubringen (International Herald Tribune, 23.01.2009, www.iht.com/articles/2009/01/22/business/yuan.2-413647.php). Da das meiste Geld in Infrastruktur- und andere Bauvorhaben geht, wird die Krise der Exportwirtschaft nicht gelindert. Zur Ersetzung der ausfallenden US-Nachfrage durch andere Handelspartner (EU) und eine größere inländische Nachfrage muss sich das Regime also was anderes einfallen lassen. Im Gegensatz zu den USA, die ebenfalls ein großes Konjunkturprogramm aufgesetzt haben, hat China aber die Mittel für das eigene Programm: China hat (noch) wenige Schulden, ein geringes Haushaltsdefizit und riesige Währungsreserven.
24 Vor einem Jahr wurde dagegen noch beklagt, dass die Konjunktur bei einem Wachstum von mehr als zehn Prozent überhitze und das Wachstum auf ein “vernünftiges” Maß reduzieren werden müsste. Sieben oder acht Prozent galten als geeignetes Ziel.
25 Reuters am 20.02.2009: http://sg.news.yahoo.com/rtrs/20090220/tap-oukwd-uk-china-workers-03b3b4c.html
26 Siehe http://www.ihlo.org/LRC/WC/010309.html
27 Nach Regierungsangaben sind die Einkommen in Chinas Städten 3,4-mal höher als auf dem Land. Umweltschäden, Dürren, Unwetter, Enteignungen und Vertreibungen verschärfen die Bedingungen auf dem Land weiter.
28 Entscheidend wird auch sein, ob das neue Landrecht – wie von der Regierung beabsichtigt – zu einem Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft führen und die Zahl landloser LandbewohnerInnen zunehmen wird.
29 Victor Shih auf rgemonitor.com, 09.01.2009,www.rgemonitor.com/asia-monitor/255032/will_job_losses_lead_to_social_unrest_my_take. Denkbar wäre auch eine Situation wie in Tibet im März 2008, als die Diskriminierung und (politische/kulturelle) Unterdrückung der TibeterInnen zusammen mit sozialen Faktoren zu einem tagelangen Riot führte.
30 In gewisser Weise eine Fortsetzung der rassistischen Propaganda der neunziger Jahre, als die WanderarbeiterInnen als naive Hinterwäldler dargestellt wurden, die verantwortlich seien für Kriminalität, Krankheiten und moralischen Verfall in der Stadt.
31 The Observer, 25.01.2009, www.guardian.co.uk/world/2009/jan/25/china-globaleconomy
32 Die Unterdrückung politischen Dissens und Widerstands – der zumeist abgekoppelt von ArbeiterInnenkämpfen stattfindet – hat in den letzten Jahren zugenommen. Mit der Krise und sozialen Zuspitzung ist kaum zu erwarten, dass das Regime hier die Fesseln lockert. Eine Erweiterung lokaler Wahlen, wie sie Shenzhen geplant hatte, wurde gestrichen. Ein Parteioffizieller meinte dazu: “Wenn wir jetzt Wahlen hätten, könnten wir wie Thailand enden.” (New York Times, 19.12.2009, www.nytimes.com/2008/12/19/world/asia/19china.html) Ein Bezug auf die Auseinandersetzungen zweier Parteilager um die Regierungsgewalt in Thailand, die Ende 2008 unter anderem zur tagelangen Blockade der Flughäfen Bangkoks führten.
33 Das Wachstum der chinesischen Währungsreserven hat sich schon abgeschwächt, aber noch ist kein Rückgang des Ankaufs von US-Staatsanleihen zu erkennen. Die Exporte sind rückläufig, die Importe aber in noch stärkerem Maße (rgemonitor.com, 16.01.2009, www.rgemonitor.com/asia-monitor/255114/secrets_of_safe_a_sharp_slowdown_in_reserve_growth_and_large_hot_outflows_in_q4).