Blick in Chinas Autofabriken

aus Wildcat #99, Winter 2016


Besprechung der englischen Ausgabe:  Zhang Lu (2015). Inside China‘s Automobile Factories. The Politics of Labor and Worker Resistance, New York. Seit März 2018 ist das Buch auf Deutsch verfügbar, siehe Arbeitskämpfe in Chinas Autofabriken.


Die Streiks in der chinesischen Autoindustrie im Sommer 2010 haben alle aufhorchen lassen: Sie brachten internationale Konzerne zum Stillstand und haben eine Streikwelle in China ausgelöst. Sie signalisierten eine neue Phase im Klassenkampf, in der eine neue Generation von ArbeiterInnen alte Grenzen überwindet: Die jungen ArbeiterInnen lassen sich nicht zurück aufs Land schicken, bescheiden sich nicht mit dem, was sie kriegen, und können über Spaltungen hinweg kämpfen.

Wie die meisten wichtigen Kämpfe haben sie eine Vorgeschichte, auf die Lu Zhangs am Institut von Beverly Silver1 geschriebene Doktorarbeit uns aufmerksam macht: In der Zeit ihrer Untersuchung zwischen 2004 und Mai 2010 gab es zahlreiche Streiks in der Autoindustrie, über die kaum berichtet wurde. Die in China aufgewachsene Zhang liefert außerdem Hintergrundwissen über die Autoindustrie, die Arbeitsbedingungen und den Produktionsprozess.

Zhang hat in sieben Autofabriken recherchiert. Sie wurde jeweils über Beziehungen zum Management eingeschleust, etwa um den Newsletter des Parteikomitees zu editieren. Diese Verbindung zur Chefetage ist sicher nicht die beste Voraussetzung, aber zumindest nach eigener Darstellung ist es ihr trotzdem gelungen, das Vertrauen der ArbeiterInnen zu gewinnen, mit denen sie zahlreiche Gespräche geführt hat. Sie konnte mit ihnen gemeinsam einige Kämpfe im Nachhinein diskutieren und die Bedingungen in den unterschiedlichen Fabriken vergleichen. Da es wenige solche Berichte aus chinesischen Fabriken gibt, noch dazu auf englisch, ist das für uns sehr nützlich. Das Buch geht an vielen Stellen einer Frage nach, die für fast alle Kämpfe weltweit entscheidend ist: Wie werden die ArbeiterInnen durch den unterschiedlichen Status etwa als WanderarbeiterInnen oder LeiharbeiterInnen voneinander getrennt, und inwieweit können sie in ihren Kämpfen diese Trennung überwinden? Die Autorin beschreibt die Einführung eines “dualen Arbeitsregimes” als wichtige Veränderung, die Unterscheidung zwischen LeiharbeiterInnen und direkt beim Betrieb beschäftigten ArbeiterInnen hat mittlerweile die ältere zwischen WanderarbeiterInnen und Einheimischen weitgehend abgelöst; die chinesische Autoindustrie wird der in vielen anderen Ländern ähnlicher.

Es ist gar nicht so einfach, den Überblick über die unterschiedlichen Joint-Venture-Unternehmen und staatlichen Autokonzerne zu behalten; hier liefert Zhang Hintergrundwissen über Struktur und Entwicklung der Autoindustrie.

Geschichte der chinesischen Autoindustrie

Ab den 1950er Jahren entstanden in fast jeder Provinz Chinas kleine Fabriken, in denen komplette Autos gebaut wurden. Die Technologie war veraltet, die Produkte von schlechter Qualität. Aber Zhang zufolge entstand hier eine erfahrene Arbeitskraft mit einem starken Bewusstsein von “Demokratie am Arbeitsplatz”. Zu Beginn der Reformära gab es 56 Automontagefabriken. Die Produktivität der Arbeit war relativ gering, im Jahr 1981 produzierten ca. 90 000 ArbeiterInnen 176 000 Fahrzeuge mit vier Rädern (nur bei einem kleinen Teil der Fahrzeuge handelte es sich um Limousinen) – in Japan wurden 1980 von 683 000 ArbeiterInnen über elf Millionen solcher Fahrzeuge produziert. In der Reformära ab 1980 sollte die Autoproduktion effizienter werden, die Regierung förderte die Bildung von Joint Ventures(JV)mit ausländischen Konzernen, was ein Wachstum der Industrie mittels Auslandsinvestitionen ermöglichte. Bis Mitte der 90er Jahre gab es eine begrenzte Anzahl von JV, die auch angesichts des kaum vorhandenen chinesischen Automarkts wenig profitabel waren. Aber schon Anfang der 2000er Jahre hatten fast alle Autokonzerne ein JV mit chinesischen Konzernen. Im Vergleich zu rein chinesischen Firmen konnten JVs den ArbeiterInnenn hohe Löhne, Sozialleistungen und stabile Beschäftigung garantieren. Die Löhne in den Montagewerken der JV waren zwei- bis dreimal höher als vor Ort üblich. Es gab in dieser Zeit kaum Entlassungen, die Furcht davor lernten die ArbeiterInnen erst um 2004 mit der ersten AutoAbsatz-Krise kennen.

Im Unterschied zu den meisten anderen Ländern wuchs in China die Zahl der Beschäftigten mit der Expansion der Autoindustrie kaum, weil parallel dazu stark rationalisiert und automatisiert wurde. Gleichzeitig werden in einem Mix aus Automatisierung und “human-wave”-Methoden immer wieder sehr viele junge ArbeiterInnen in die Fabriken geholt. So profitieren die Konzerne stärker von den relativ billigen und gut ausgebildeten ArbeiterInnen. Durch die Umstellung auf eine modulare Produktionsweise (statt lange Bänder für Karosse und Chassis gibt es Module für Powertrain, Türen und Front) wurden viele Arbeitsschritte zu Zulieferern ausgelagert, dort sind die Löhne deutlich niedriger, die Bedingungen schlechter. In den Montagewerken selbst arbeiten sehr wenige Frauen, in den Zulieferbetrieben sind es mehr. Die Arbeiterkonzentration ist an manchen Orten sehr hoch: einige Fabriken sind sehr groß, zum Teil leben die Arbeiter mit ihren Familien in riesigen Auto-Städten.

Spaltungen

Zhang gibt einige Beispiele für die unterschiedlichen Hintergründe und Erfahrungen der Auto­arbeiterInnen. Der 25-jährige Wei hat zur Zeit ihres Gesprächs 2006 seit zwei Jahren im neuen Montagewerk eines US-Joint-Ventures in seiner Heimatstadt gearbeitet und vorher eine technische Schule als IT-Bachelor abgeschlossen: “Sie sagten, mehr als 3000 Leute aus der Gegend hätten sich für die 300 Jobs beworben, ich wäre einer von 300 Glücklichen. Ich hab drei Untersuchungen, schriftliche Tests, Einzel- und Gruppengespräche überstanden. Ich bin sehr stolz, dass ich diesen Job gekriegt habe. Jeder will hier arbeiten. Es ist ein gutes Gefühl, wenn du Leuten erzählst, dass du hier arbeitest.” Obwohl er seine Bezahlung mittelmäßig und die Arbeit monoton findet, hofft Wei, mit seinem Abschluss bald Techniker oder Angestellter zu werden. Wie die meisten hat er am ­Anfang nur Jahresverträge, macht sich aber keine Sorgen um seinen Job, die Produktion wuchs zu der Zeit beständig, und die meisten wurden verlängert.

Tao (26) ist Schweißer bei einem deutschen JV und stammt aus einer armen Familie vom Land. Er hat mit 17 die Schule abgebrochen und seine Heimat verlassen, um seine Familie unterstützen zu können. Wie viele Migranten vom Land ohne Hukou [Aufenthaltserlaubnis] für die Stadt bleiben ihm befristete und schlecht bezahlte Jobs, die Leute aus der Stadt nicht machen wollen. Er hatte verschiedene Stellen, bis er in die Autofabrik kam, wo er zur Zeit des Gesprächs 2006 seit fünf Jahren arbeitet. Obwohl er nach dieser Zeit gut schweißen kann, verdient er als Leiharbeiter bloß die Hälfte des Lohns und hat weniger Zusatzleistungen. Er sagt: “Ich hab in einem privaten Kohlebergwerk gearbeitet und für ein Subunternehmen auf dem Bau. Da habe ich die jämmerliche Erfahrung gemacht, ein halbes Jahr lang keinen Lohn zu kriegen. Manchmal fühle ich mich ungerecht behandelt, weil ich die Hälfte des Lohns für dieselbe Arbeit kriege. Aber wenn ich drüber nachdenke… ich hab keine städtiche Hukou, keine gute Ausbildung, nicht viele andere Möglichkeiten. Ich denke nicht, dass ich einen besseren Job finden kann.”

Die “Festen”

Es gibt in den meisten Betrieben eine Kerngruppe von Managern, Ingenieuren und sehr wenigen Technikern mit festen Arbeitsverträgen und hohen Gehältern. Weitere 15 bis zwanzig Prozent der Beschäftigten, meist hochspezialisierte Angestellte, haben gute Aufstiegschancen und je nach Betriebszugehörigkeit befristete oder unbefristete Verträge. Von den ArbeiterInnen haben nur noch sehr wenige unbefristete oder langfristige Verträge. In den 90er Jahren wurde der Großteil der alten Auto­arbeiterInnen mit Jobs auf Lebenszeit abgeräumt. Weil sie Abfindungen und Regelungen für die Frührente bekamen, lief das ohne größere Proteste ab. Ein weiterer Grund war der Einsatz der Parteikomitees, die es in vielen Fabriken gibt. Ihre VertreterInnen redeten mit den entlassenen Arbeitern, appellierten an ihr Gewissen, ihre Treue zu Betrieb und Partei. Die Komitees haben generell eine Vermitterrolle zu den Festen, die wie in diesem Beispiel auch teilweise zu funktionieren scheint. Wie die Gewerkschaften auch bewerben sie Fleiß und harte Arbeit, zugleich haben sie eine soziale Funktion, organisieren Freizeitveranstaltungen und leisten soziale Unterstützung. Die ausländischen Partnerkonzerne der JV wollten zum Teil anfangs keine Parteikomitees in ihrer Fabrik – bis sie deren Nützlichkeit erkannten.

Gleichzeitig sehen die ArbeiterInnen, mit denen Zhang sprach, zumindest die Gewerkschaft klar auf der Seite des Managements, und viele der Gewerkschafter sprechen auch von genau diesem Standpunkt aus. Zhang selbst hält Gewerkschaften nicht für nötig, damit Arbeiter sich organisieren und kämpfen, und hält sich anders als viele andere Kommentatoren mit Vorschlägen zur Reformierung der Gewerkschaften zurück. Die Möglichkeit für Kämpfe knöpft sie – typisch für die Silver-Schule – an die Marktmacht der ArbeiterInnen: Mit der Automatisierung sei ein neuer Bedarf für Fachkräfte etwa in der Instandhaltung entstanden; zudem mache die Just-in-Time-Produktion den Produktionsprozess anfällig für Störungen.

Die oben erwähnten Entlassenen wurden durch junge Leute ersetzt, die zum großen Teil befristete Verträge haben, die aber normalerweise verlängert werden.2 2005 beispielsweise waren 32 Prozent der ProduktionsarbeiterInnen unter 25 Jahren, 51 Prozent zwischen 25 und 35; sie waren durchschnittlich seit zwei bis fünf Jahren im Betrieb, und mehr als zwei Drittel hatten Ein- oder Zweijahresverträge (die sich automatisch verlängern, wenn sie nicht gekündigt werden). Die meisten dieser jungen Leute haben zwölf Schuljahre hinter sich und manche noch eine technische Schule. Dennoch machen sie einfache Arbeiten, sie müssen nicht unbedingt technisch, aber vom Verhalten her “gebildet” sein.

Die Festen haben ca. 30 Prozent höhere Löhne als andere städtische IndustriearbeiterInnen. Dennoch sind sie Zhang zufolge nicht die gehätschelten und zufriedenen Arbeiter, wie es oft unterstellt werde. Während die Autoindustrie zweistellige Wachstumsraten hatte, stiegen ihre Löhne nur im einstelligen Bereich. Die meisten von ihnen denken, dass ihre Arbeitgeber ihnen mehr zahlen könnten. Im Gespräch klagen sie über lange Arbeitszeiten (Zehn- bis Zwölf-Stunden-Schichten plus Überstunden) und harte, monotone Arbeit: die sehr große Mehrheit geht davon aus, den Job mit 40 nicht mehr machen zu können. Sie erzählen, dass man üblicherweise fünf Kilo abnimmt, wenn man anfängt, am Band zu arbeiten. Ein 23-jähriger Arbeiter sagt: “Wenn ich jemandem erzähle, dass ich im US-Joint-Venture arbeite, sagen alle: Du Glücklicher! Aber sie wissen nicht, was es kostet, die hohen Löhne und Zulagen zu kriegen. Wenn du zehn Stunden am Tag ununterbrochen arbeitest, manchmal sogar zwölf, mit nur einer halben Stunde Mittagspause und zwei Zehn-Minuten-Pausen, und wenn du mit zwei Tonnen schweren Blechen hantierst, 3000 Schrauben und 600 Bolzen verschraubst, 600 Kabelbäume anschließt, dich 60 mal umdrehst und 300 mal runterbeugst, jeden Tag, denkst du dann immer noch, dass du Glück hast? Dieselbe anstrengende Arbeit wiederholt sich ständig. Ich will nur noch raus!”

Aufgrund ständiger “Optimierung” der Produktion müssen sie sich dauernd an neue Bandgeschwindigkeiten anpassen. Und auch wenn ihre Verträge bisher meistens verlängert wurden, sind die Jobs der AutoarbeiterInnen nicht unantastbar. Seit der ersten Autokrise in China 2004/5 schwebt die Drohung der Entlassung über ihnen, auch wenn es damals meist nur LeiharbeiterInnen traf – die Festen machten dafür Zugeständnisse beim Lohn und den Arbeitsbedingungen.

Wer schon länger als fünf Jahre in der Fabrik ist, hat laut Zhang eher eine resignierte bis zynische Haltung. Diese Arbeiter sind meist ein wenig aufgestiegen, halten ihre Arbeit für wichtig, ohne dass sie ausreichend gewürdigt wird. Lohn und Aufstiegsmöglichkeiten werden mindestens genauso stark nach “Leistung” berechnet wie nach Betriebszugehörigkeit, so dass sie von ihrer Erfahrung immer weniger profitieren (viele gehen davon aus, dass es in Wirklichkeit um Beziehungen zum Management geht). Sie können es sich aufgrund ihrer Erfahrung erlauben, ihren Unmut zu äußern, ohne um ihren Job zu fürchten, und sie tun das auch, allerdings meist ohne Taten folgen zu lassen.

Viele der jungen Festen träumen vom Ausstieg, entweder Aufstieg in der Fabrik und weg vom Band oder ganz aus der Fabrik raus. Sie arbeiten hart, besuchen zudem in ihrer Freizeit Kurse – aber die wenigsten schaffen es. Sie versuchen meist, individuell klarzukommen, aber gerade aufgrund der wachsenden Unsicherheit geht von den Festen alltäglicher Widerstand von Klauen bis Sabotage aus. In einem neuen japanischen JV beispielsweise gingen regelmäßig Teile auf dem Weg vom Lager in die Produktion “verloren”, weil die ArbeiterInnen so ihren Unmut über die toyotistische Produktionsweise, Entlassungen und niedrige Löhne äußerten. Schließlich musste das Management von der Just in Time-Produktion zurückgehen zum alten System mit mehr Puffern. Zhang sah in einem US-Joint-Venture die Werkstatt der Fabrik voll mit neuen Autos, die auf alle möglichen Arten von den ArbeiterInnen kaputtgemacht worden waren: Kratzer, lauter Motor, kaputte Kontroll-Leuchten. Die Arbeiter sagten selbst, dass sie sauer waren über schnellere Takte, willkürliche Management-Entscheidungen und die Tatsache, dass ihre Löhne viel niedriger waren als in zwei anderen Werken desselben Konzerns. Verbreitet ist es auch, sich die Arbeit durch Umgehen von Vorschriften zu vereinfachen und kleine Pausen rauszuholen.

Es gibt auch kollektiven Widerstand, wenn etwa die Teilnahme an Fabrikritualen gemeinsam verweigert wird. Oft verhandeln die ArbeiterInnen mit dem Management, indem sie dessen eigene Rhetorik von der “Sorge um die Arbeiter” und ähnlichem gegen dieses verwenden – Zhang nennt das den “Legitimitätshebel”.

Zhang konnte einen Streik von Festen erleben, der die Produktion zehn Stunden lang lahmlegte. Über 400 ArbeiterInnen in der Chevrolet-Montage waren in der Frühschicht zwar an ihren Arbeitsplätze erschienen, standen aber ohne zu arbeiten am Band. Leute aus anderen Abteilungen schlossen sich an, bis die ganze Fabrik stillstand. Gleichzeitig wurden Flugblätter mit der Forderung nach 25 Prozent mehr Lohn verteilt. Der Zeitpunkt war auf dem Höhepunkt der jährlichen Produktion gut gewählt, die Firmenleitung bot schnell eine Lohnerhöhung von 15 Prozent an, die die ArbeiterInnen unter der Drohung entlassen zu werden auch akzeptierten. Die ArbeiterInnen verdienten doppelt so viel wie vor Ort üblich, waren aber dennoch empört über die regionalen Lohnunterschiede und darüber, “von Managern aus Shanghai gegängelt zu werden”.

Ein Montagearbeiter sagte dazu: “Warum sollten wir nur ein Drittel oder weniger von dem verdienen, was die Arbeiter in Shanghai kriegen, obwohl wir die härtere Arbeit machen? Die Manager in Shanghai sagen, das liegt an den höheren Lebenshaltungskosten dort. Aber die Kosten im anderen Werk [in einer noch kleineren Stadt] sind genauso hoch wie hier, warum sind die Löhne dort dann auch höher als unsere? Die Manager sagen, weil es dort mehr Autofabriken gibt und sie bessere Löhne bieten müssen, damit die Arbeiter nicht weggehen. Aber das ist Schwachsinn. Sie denken einfach, dass die Arbeiter hier brav und leicht einzuschüchtern sind. Das hat uns richtig wütend gemacht!” Die ArbeiterInnen beklagten sich auch darüber, dass es keinen Weg gebe, auf dem sie ihre Anliegen vorbringen können, Petitionen und die Gewerkschaft hätten sich als nutzlos erwiesen. Wie der Streik genau organisiert wurde, ist unklar. Ein Teilnehmer sagte Zhang, auf ein Online-Posting über die Ungerechtigkeiten hin habe sich eine kleine Gruppe zusammengefunden, die bereit war, alles zu riskieren, sie habe mit dem Streik begonnen.

Für Zhang zeigt dieser Streik, dass die Spaltungen zwischen AutoarbeiterInnen nicht zu Passivität, sondern zu Irritationen und Aktivismus führt. Die Strategie des Kapitals, Fabriken ins Landesinnere zu verlagern, um den kämpferischen Arbeiter­Innen in den älteren Industriegebieten zu entkommen, führe zu einer Ausweitung der Konflikte.

Leiharbeiter / Praktikanten

Andere Spaltungen laufen durch die Belegschaften selbst. Bis auf einen Konzern haben mittlerweile alle “duale Arbeitsregime” mit einer großen Zahl von Leiharbeitern und Praktikanten eingeführt.

Ab den 90er Jahren wurden BauernarbeiterInnen in die Fabriken geholt, um zu einem schlechteren Lohn an der Seite der Festangestellten zu arbeiten, die Trennung zu den Festen verlief klar entlang der Hukou. Bis ca. Mitte der 00er Jahre wurden die alten BauernarbeiterInnen durch LeiharbeiterInnen ersetzt (deren Zahl zudem höher ist).

Zwei Drittel der LeiharbeiterInnen kommen vom Land in der Nähe der Autofabriken, das restliche Drittel aus der (Vor-)Stadt. Die Leiharbeiter­Innen und die Festen werden sich nun immer ähnlicher, was Ausbildung, Alter und Herkunft angeht, zum Teil wohnen sie sogar in denselben Wohnheimen. Es kommt zwar noch vor, dass die unterschiedliche Stellung durch die jeweilige Hukou bestimmt wird, das verliert aber an Bedeutung. Für die Betriebe wird es damit schwerer, die Unterschiede im Status zu legitimieren.

LeiharbeiterInnen verdienen ca. ein Drittel weniger als die Befristeten, ihre Anstellung ist prekärer, sie kriegen keine oder schlechtere Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Noch billiger für die Betriebe sind die “PraktikantInnen”: StudentInnen bzw. SchülerInnen technischer Schulen, die oft von ihren Schulen gezwungen werden, Vollzeit in der Fabrik arbeiten zu gehen, um ihren Abschluss zu machen. Das Verhältnis von LeiharbeiterInnen zu Praktikanten ist grob 70/30.

LeiharbeiterInnen und PraktikantInnen wehren sich zunehmend gegen die Ungleichbehandlung. Zhangs These ist, dass eben diese Spaltung zum Grund für die Kämpfe der LeiharbeiterInnen für Gleichheit geworden ist. Viele der LeiharbeiterInnen wollen in der Stadt bleiben, sind stolz, bei einem großen Unternehmen zu arbeiten – und empört über ihre Ungleichbehandlung. Sie kriegen die härtesten Arbeiten zugewiesen und die Überstunden, die sonst niemand will. Vor allem ärgern sie sich darüber, dass ständig welche von ihnen entlassen werden und dass sie keine Möglichkeit haben, was dazu zu lernen und aufzusteigen.

LeiharbeiterInnen und PraktikantInnen wohnen eher als die Festen in Wohnheimen zusammen, was es vereinfacht, Kämpfe zu koordinieren. Wie die anderen jüngeren ArbeiterInnen nutzen sie die sozialen Medien, um sich auszutauschen, und zwar auch über ihre Arbeit. Und sie sind viele: “Unser Team besteht aus 21 Arbeitern, und zwölf von uns sind Leiharbeiter. In der Montage arbeiten insgesamt 500 Leute, davon sind fast die Hälfte Leiharbeiter. Wenn wir aufhören zu arbeiten, steht die ganze Halle.” Immer mehr von ihnen haben schon längere Erfahrung im Werk.

Auch unter den LeiharbeiterInnen und Praktikant­Innen sind verdeckte Widerstandsformen im Alltag am verbreitetsten. Aber Zhang weiß auch von Streiks: Als sie im Juni 2004 in einem Staatsbetrieb mit ihrer Recherche begann, hörte sie von den ArbeiterInnen als erstes von einem wilden Streik, der gerade passiert war – der erste seit 1993. Über 300 PraktikantInnen waren nicht zur Arbeit gegangen, weil ihr Lohn nicht ausgezahlt worden war. Die Festen waren ebenfalls wütend, weil sie trotz Mehrarbeit keine Boni bekommen hatten, und mit ihrer Unterstützung konnten die PraktikantInnen das Montageband 15 Stunden lang anhalten und die Auszahlung erzwingen.

Der Streik brachte die ArbeiterInnen enger zusammen. Ein Streikender berichtet: “Es war immer so, du gingst zur Arbeit, hast hart gearbeitet, gingst zurück ins Wohnheim zum Schlafen und dann wieder zurück zur Arbeit. Wenn du deinen Lohn nicht pünktlich gekriegt hast, oder nur die Hälfte von dem verdient hast, was die Festen kriegen, hast du halt gedacht, du kannst nichts dagegen tun. Aber plötzlich hast du gemerkt, dass du was erreichen kannst, wenn du was zusammen machst!”

Einige Monate später folgte ein Kampf, mit dem die PraktikantInnen forderten, dass ihr Lohn so wie der der Festen erhöht werden sollte; diesmal unterstützten die Festen den Streik nicht. Er dauerte nur einen Tag, 18 der Streikenden wurden entlassen. Einen Monat später gab es trotzdem eine Lohnerhöhung für die PraktikantInnen: 200 RMB für die, die nicht gestreikt hatten, 100 für die, die teilgenommen hatten. Ein gemischtes Ergebnis, und gemischte Gefühle bei den ArbeiterInnen.

Ob die Kämpfe der LeiharbeiterInnen und PraktikantInnen erfolgreich sind, hängt Zhang zufolge wesentlich davon ab, ob die Festen mit ihnen kämpfen oder sich auf die andere Seite schlagen. Eine nachvollziehbare These, deren weitere Ausführung aber wenig überzeugt. Zhang geht vor allem vom obigem Beispiel aus und leitet das Verhalten der Festen davon ab, wie Management und Staat reagieren. Dass sie allein über den Gegner auf das Kampfverhalten der ArbeiterInnen schließt, kann nicht überzeugen. Das Problem liegt vor allem darin, dass es zu wenig (bekannte) Beispiele für gemeinsame Kämpfe von Befristeten und LeiharbeiterInnen gibt, um überhaupt Thesen aufzustellen.

Die sozialen Unterschiede zwischen Leiharbeiter­Innen und Festen verschwimmen laut Zhang tendenziell, aber aktuell funktioniert die Trennung noch, vor allem aus Sicht der älteren ArbeiterInnen. Und es herrscht noch keineswegs Gleichheit: In manchen Fabriken gibt es Wohnheime für beide Gruppen, die sich in Komfort und Ausstattung stark unterscheiden. Ein “Wir” gibt es meist nicht, die ArbeiterInnen leben in unterschiedlichen sozia­len Zusammenhängen. Die Festen sagen zwar einerseits, dass sie keinen Unterschied zwischen sich und den LeiharbeiterInnen sehen, viele erwähnen dennoch abschätzig deren Benehmen und Bildung. Während im einem deutschen JV die Festen mit Sympathie von entlassenen LeiharbeiterInnen sprechen, herrscht im anderen Zurückhaltung und Gleichgültigkeit bei diesem Thema. Hier gibt es verschiedenfarbige Uniformen für die unterschiedlichen Gruppen von ArbeiterInnen. Trotz der Distanz gibt es generell wenig direkte Auseinandersetzungen, im täglichen Umgang in den Fabriken herrscht Kollegialität. Das liegt auch an der Teamarbeit, die eine direkte Zusammenarbeit erfordert.

Die Kämpfe von LeiharbeiterInnen und Praktikant­Innen haben vieles verändert: Seit 2008 dürfen sie in die Gewerkschaft eintreten, haben besseren Zugang zu Infrastruktur; häufig wurde die Leiharbeit im Betrieb begrenzt, laut einer Gesetzesreform von 2013 sollen LeiharbeiterInnen Equal Pay erhalten. Die beschleunigte Auslagerung ganzer Arbeitsschritte an Subunternehmer sieht Zhang als Reaktion der Unternehmer darauf.

Begrenzt, aber nicht machtlos

Zhang kann der verbreiteten Meinung, die Arbeiterkämpfe in China seien regional und inhaltlich begrenzt, nicht generell widersprechen, die Gründe liegen in den beschriebenen Spaltungen, der Repression und der Furcht vor starker Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Die Kämpfe und die Macht der ArbeiterInnen dürfen ihrer Meinung nach trotzdem nicht unterschätzt werden. Die Bedingungen in China unterschieden sich von anderen Ländern, weil alle Reformen vom Staat kontrolliert, begrenzt und vermittelt werden. Trotzdem gebe es konstanten Aktivismus, der dem Widerspruch zwischen Profitabilität und Legitimität entstamme, in dem Staat und Unternehmen stecken. Auch die Angst vor einem Lauffeuer sozialer Aufstände wirke zugunsten der ArbeiterInnen.

Zhangs Buch ist als akademische Arbeit zum Teil auch Literaturarbeit, die sich im Umfeld anderer Arbeiten, Begriffe und Konzepte verorten muss. Das wird manchmal redundant und ist für die am Klassenkampf interessierte Leserin nicht immer interessant. Es wird zudem deutlich, dass Begriffe wie Beverly Silvers “Produktionsmacht” oft eher eine vermeintliche Allgemeinheit überstülpen, als dabei zu helfen, eine Situation wirklich zu verstehen.

Zhang war in ihrer Position nicht für längere Zeit nah am Produktionsprozess und hatte keine Möglichkeit, die tägliche Zusammenarbeit der ArbeiterInnen, ihre Tricks und Zugeständnisse zu verstehen. Trotzdem hilft uns ihr Buch, uns ein besseres Bild von den AutoarbeiterInnen in China zu machen.


Anmerkungen:

1 Beverly Silver ist Soziologin an der Universität von Baltimore. In Forces of Labor (2003) veröffentlichte sie die Ergebnisse einer langjährigen statistischen Auswertung weltweiter Arbeiterkämpfe. Ihrer Analyse nach folgt der Konflikt dem Kapital in jedem Schritt der Verlagerung. Sie benennt drei Arten von Arbeitermacht: die Macht am Arbeitsplatz (Produktionsmacht), die Macht auf dem Arbeitsmarkt (Marktmacht) und die Macht durch Organisierung.

2 Diese ArbeiterInnen werden trotz ihrer Befristung hier “Feste” genannt, um sie von den LeiharbeiterInnen zu unterscheiden, auch wenn die Bezeichnung etwas irreführend ist.

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