Erzählung: Brief von Tian Yu

vom 30. November 2010


[Erzählung aus der chinesischen Fassung des Buches von Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013. Zu Tian Yus Geschichte siehe die Geschichte Tian Yu und ich.]

Meine Familie ist arm, deswegen bin ich nach Abschluss der Schule nach Shenzhen gekommen und habe angefangen, bei Foxconn zu arbeiten. Aus allen möglichen Gründen hatte ich plötzlich einen Unfall, der meiner Familie große Schmerzen bereitet hat. Als ich in Shenzhen medizinisch behandelt wurde, waren dort die vielen herzlichen StudentInnen und LehrerInnen, aber auch die Onkel, Tanten, Brüder und Schwestern, die sich um mich kümmerten, mich aufmunterten, meinem gebrochenen Herzen viel Trost spendeten. Sie gaben meinem Leben wieder Hoffnung und Perspektive.

Nachdem ich in Shenzhen einige Zeit behandelt worden war, verlangte die Firma, dass ich in die Heimat zurückfahre. Schließlich kümmerte sich Lehrerin Ai und half uns. Sie fuhr uns im Auto von zuhause in ein Krankenhaus in Wuhan, das sie uns vermittelt hatte. Die Ärzte im Krankenhaus führten eine Reihe von Behandlungen gegen die Lähmungen durch, und ich kann jetzt wieder selbst Zähne putzen, mein Gesicht waschen und mir Kleidung und Strümpfe anziehen. Als mein Vater und meine Mutter das sahen, waren sie sehr glücklich. Seit ich in Behandlung bin, kann ich auch ohne Hilfe den Körper drehen, mich selbst aufsetzen, mit elektrischen Impulsen meine Füße bewegen, und wenn ich im Rollstuhl sitze, kann ich das Gesäß anheben.

Obwohl ich bisher nicht stehen kann, werde ich im Herzen immer stark bleiben. Ich möchte in Zukunft wieder was tun, unabhängig sein, mich um meine Familie kümmern. Ich möchte meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten und hilfsbedürftigen Menschen mit all meiner verfügbaren Kraft helfen.

Ich kann jetzt nicht losziehen und arbeiten oder auf dem Bauernhof helfen. Als ich im Krankenhaus lag, habe ich gedacht, dass ich danach wieder Geld verdienen und alleine klarkommen muss, ohne auf meine Eltern oder FreundInnen angewiesen zu sein – egal ob ich wieder stehen kann oder nicht. In Shenzhen gaben mir Onkel Chen und meine Tante Bücher über Kunsthandwerk. Die Sachen sehen sehr interessant aus. Hier im Krankenhaus schaue ich mir die Bücher jetzt mit meinem Vater und meiner Mutter genau an, sodass ich mit Kunsthandwerksarbeiten anfangen kann, sobald ich nach Hause zurückfahre. Ein eigenes Geschäft zu eröffnen erfordert Fleiß und Arbeit.

Ich grüße die StudentInnen und LehrerInnen aus Hongkong! Obwohl ihr weit weg seid, spüre ich euer aufrichtiges Mitgefühl und eure Freundschaft. Es ist als wenn ihr direkt hier bei mir wärt. Das macht mich sehr glücklich. Euer Mitgefühl vermittelt mir soziale Wärme, und von überall erfahre ich Zuneigung. Ihr habt mich mental ermuntert und unterstützt. Auch wenn ich die Kontrolle über meine beiden Beine verloren habe, es ist eurer Mitgefühl, das mir Mut gibt, kommenden Schwierigkeiten und Problemen ins Auge zu sehen. Ich werde die Bücher über Kunsthandwerk, die mir der Onkel und die Tante gegeben haben, nutzen, sodass ich etwas Sinnvolles zur Gesellschaft beitragen kann, statt ihr zur Last zu fallen.

Danke für euer Mitgefühl! Ich wünsche euch viel Erfolg beim Studieren und Arbeiten!

 

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