Arbeiterinnen im maoistischen Patriarchat

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[Beitrag aus der Beilage Unruhen in China, wildcat #80, Dezember 2007]

Man mag annehmen, der Sozialismus habe dem «feudalistischen» Patriarchat chinesischer Prägung den Garaus gemacht. Immerhin hat der Maoismus die Lage der Frauen im Vergleich zur Zeit vor der «Befreiung» verbessert, in der Stadt, aber auch auf dem Land. Die meisten städtischen Frauen machten nach der «Befreiung» 1949 Lohnarbeit in den staatlichen Fabriken oder anderen Unternehmen, während die Frauen auf dem Land wie ihre Männer in den Volkskommunen zum Arbeitsdienst herangezogen wurden. Das änderte ihre Rolle in der Familie, auch weil bei den niedrigen Löhnen der Mao-Ära der Lohn der Frauen für das Familieneinkommen wichtig war (Wang: 159). Aber auch wenn die Frauen nicht in gleichem Maße im Haus eingesperrt wurden und neue Gesetze sie den Männern weitgehend gleichstellten, so fand ihr Leben weiterhin in einem patriarchalen Rahmen statt. Zur «traditionellen» Arbeit im Haushalt kam zusätzlich noch Lohnarbeit – und zwar meist außerhalb ihrer Familie oder der Gemeinschaft von Frauen, in der sie aufgewachsen waren (McLaren: 171). Das sozialistische Regime hat veränderte Formen des «feudalistischen» Patriarchats übernommen und in die neuen gesellschaftlichen Organisationsformen integriert.

Die Autorin Liu Jieyu folgt in ihrem 2007 erschienenen Buch «Gender and Work in Urban China. Women workers of the unlucky generation» (Geschlecht und Arbeit in den Städten Chinas. Die Arbeiterinnen der unglücklichen Generation) dem Schicksal einiger städtischer Arbeiterinnen der Generation der Kulturrevolution (Jahrgänge etwa von 1945 bis 1960). Frauen waren während der Umstrukturierung der staatlichen Industrien seit Mitte der neunziger Jahre mehr von den Entlassungen betroffen als Männer. 62,8 Prozent der Entlassenen waren Frauen, obwohl sie nur 39 Prozent der städtischen Arbeitskräfte ausmachten (Wang: 161). Liu wollte herausfinden, welche Faktoren dafür eine Rolle spielen und wie das Leben dieser Frauen im Sozialismus von den patriarchalen Strukturen und gesellschaftlichen Normen bestimmt wurde.

Die Autorin, heute Dozentin für Soziologie an der Universität von Glasgow, ist selbst in Nanjing aufgewachsen, und ihre Mutter gehört zu denen, die in den neunziger Jahren von ihrer danwei gefeuert wurden. Liu hat in Nanjing über dreißig Frauen aus der Generation ihre Mutter, fast alle ungelernte Arbeiterinnen, zu ihren Erfahrungen und ihrer Lebenssituation befragt. Ob im «egalitaristischen Kollektivismus» der Mao-Ära oder der heutigen «sozialistischen Marktwirtschaft», in den Interviews wird deutlich, dass diese Frauen in jeder Phase ihres Lebens aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt und diskriminiert wurden.

Geschichte der Diskriminierung

Die städtische Kulturrevolution-Generation – die erste im «Sozialismus» geborene – erlebte die zentralen Einschnitte in der Geschichte der Volksrepublik China: den «Großen Sprung nach vorne» und den nachfolgenden Hunger Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre, die Kulturrevolution der sechziger und siebziger Jahre, den Anfang der Reformen und die Ein-Kind-Politik in den achtziger Jahren, die Repression der Tian’anmen-Bewegung Ende der achtziger und die durchgreifende Umstrukturierung der neunziger Jahre.

Diejenigen Frauen, die sich an die Kampagnen Ende der fünfziger Jahre und den «Großen Sprung nach vorne» erinnern können, haben das Ausmaß der folgenden Hungerkatastrophe erlebt. Ihre Erzählung ist durchdrungen von der damaligen staatlichen Rhetorik, der offiziellen Version: Das Lohnarbeiten der Frauen, der Ausbruch aus dem Haushalt, galt als Zeichen der Befreiung und prägt bis heute die Erinnerung. Der Begriff der Hausfrau (jiating funü) hat bei ihnen immer noch einen schlechten Klang. Liu schreibt: «Obwohl ihre Mütter zur Arbeit gingen, waren sie nicht so frei, wie die offizielle Geschichtsschreibung uns weismachen will. Am Arbeitsplatz verrichteten die Mütter dieser Frauen schlechter entlohnte Arbeiten in der Textilindustrie, im Dienstleistungs- oder im sozialen Sektor. In der Familie bestand das traditionelle patriarchale Muster fort. Die Interviewten berichteten, dass ihre Mütter, manchmal mit ihrer Hilfe, die häuslichen Belange bestimmten, während die Väter vor allem die Brotverdiener und Entscheidungsträger waren.» (Liu: 27)

Die Frauen erinnern sich auch mit Bitterkeit an die Bevorzugung von Söhnen (zhongnan qingnü).1 In den frühen fünfziger Jahren ermunterte das Regime die Frauen noch, so viele Kinder wie möglich zu haben, was zu einem enormen Bevölkerungswachstum beitrug. In den Familien wurden die Jungen besser behandelt und eher zur (höheren) Schule geschickt. Die Mädchen mussten oft Hausarbeit machen, einschließlich der Betreuung kleinerer Geschwister und der Großeltern. Das wiederum hatte Auswirkungen auf ihre Schulbildung. «Die Frauen selbst führen die Vernachlässigung ihrer (Aus-)Bildung auf die traditionellen, «feudalen» Haltungen zurück. Dennoch ist die Investition in die Ausbildung des Sohnes angesichts eines Arbeitsmarktes, auf dem Mädchen diskriminiert werden, eine vernünftige Entscheidung.» (Liu: 29) Die Frauen hatten also schon wegen der geschlechtlichen Arbeitsteilung und der «traditionellen» Bevorzugung von Jungen schlechtere Chancen in ihrem Leben, bei beim Zugang zu Bildung – und später auf dem Arbeitsmarkt.

Während der Kulturrevolution ab Mitte der sechziger Jahre gab es zwar Slogans wie «Jetzt haben sich die Zeiten geändert, Männer und Frauen sind gleich», gleichzeitig waren aber alle feministischen Forderungen oder der Bezug auf die besonderen Probleme von Frauen verpönt. Sie galten als «bürgerlich» (Honig: 255). Die Klassenherkunft war die entscheidende Konstante, die darüber entschied, ob jemand angegriffen und umerzogen wurde oder nicht. Dabei galt bei Frauen sowohl Herkunft (vor allem der Vater) als auch Heirat (der Ehemann) als Kriterium für die Klassenzuweisung.

Die Kinder von so genannten «Klassenfeinden» mussten nicht nur die Angriffe auf ihre Eltern verkraften, sie hatten auch Probleme in der Schule, wurden von vielen Aktivitäten ausgeschlossen – oder gingen nicht hin, weil sie die Angriffe und Rechtfertigungen satt hatten. Familien, die zur Elite gehörten und während der Kulturrevolution angegriffen wurden, konnten aufgrund ihrer Beziehungen trotzdem dafür sorgen, dass ihre Kinder eine Ausbildung bekamen, während viele Arbeiterkinder – ob mit oder (angeblich) ohne «guten Familienhintergrund» – wegen der Schließung der Schulen und der Landverschickungen keine Ausbildung machen konnten.

Die erste Welle von Landverschickungen fand von 1966 bis 1968 statt. Dadurch wurden die schulische und berufliche Ausbildung der damaligen Jugendlichen unter- oder endgültig abgebrochen. Bis heute heißt es in China, diese Generation habe «nichts gelernt». Offiziell ging es darum, die «intellektuelle Jugend» (zhishi qingnian) auf dem Land umzuerziehen. Dahinter standen aber auch andere Gründe, zum Beispiel die Minderung der städtischen Arbeitslosigkeit. Allerdings wurden nicht alle Kinder aufs Land geschickt. Berufsschüler konnten in der Stadt bleiben, ebenso eine geringe Quote pro Schulklasse. Eltern mit guten Beziehungen hatten ebenfalls Chancen, ihre Kinder in der Stadt zu halten.

Eine zweite Welle von Landverschickung lief von 1974 bis 1976. Diesmal war das Hauptkriterium, wie viele Kinder aus einer Familie in der Stadt geblieben und wie viele schon aufs Land geschickt worden waren. Familien mit mehr Kindern in der Stadt mussten welche davon aufs Land schicken.

Frauen und Männer arbeiteten auf dem Land in verschiedenen Produktionsteams. Männer machten die angeblich «schwerere» Arbeit. Zum Beispiel hatten sie Säcke mit Reissetzlingen zu tragen, die Frauen mussten sie – oft stundenlang hockend – einpflanzen. Die Schwere der Arbeit wurde bei der Bezahlung nach «Arbeitspunkten» (gongfen) gewertet. Eine Frau berichtet: «Bei uns war die Männerarbeit zehn Punkte wert. Die schlechtesten von ihnen bekamen 8,5 Punkte, die besten zehn. Was Frauenarbeit anging, war das Höchste 5,5 Punkte.» Eine andere sagt: «Wir waren nur die halbe Arbeit wert.» (Liu: 34)

Die interviewten Frauen erzählen trotz allem mit Stolz von der harten Arbeit auf dem Land und den von ihnen ertragenen Schwierigkeiten – dem «chi ku», wörtlich: Bitterkeit essen. «Sie alle hatten keinen Zweifel daran, dass Arbeit ein unvermeidlicher Teil ihres Lebens ist. In dem Sinn hatte die staatliche Kampagne einen positiven Einfluss auf ihre geschlechtlichen Identitäten, indem ihre Identität als Arbeiterin gestärkt wurde; aber gleichzeitig erfuhren sie, trotz der offiziellen Rhetorik, die geschlechtliche Arbeitsteilung, die sie schlechter stellte als die Männer.» (Liu: 35)

Die Frauen vermieden in den Interviews, auf eine eigene Beteiligung bei den Roten Garden der Kulturrevolution einzugehen. Sie unterstrichen das Chaos, Ergebnis der politischen Angriffe und der Unterbrechung ihrer Schulbildung, aber wenn es um die eigenen Angriffe ging, erscheinen sie als «Außenstehende, Mitläuferin oder stille Sympathisantin.» (Liu: 36) «Diese verbreitete Vermeidung der Bezeichnung «Rote Garden» in den Erinnerungen der Frauen an die Kulturrevolution hat damit zu tun, dass die Roten Garden in der Zeit nach Mao als Verüber ungerechtfertigter und gewalttätiger Angriffe dargestellt wurden. Und es zeigt auch, wie die Erinnerungen der Frauen an die Vergangenheit durch eine öffentlich zugängliche Darstellung der Gegenwart entsprechend rekonstruiert wurden.» (Liu: 37)

Auch wenn sich die Gewalt der Roten Garden gegen die «Klassenfeinde» richtete, so war sie doch oft «sexualisiert» und «geschlechtsspezifisch». Viele junge Frauen wurden zu Objekten sexueller Übergriffe, auf dem Land durch lokale Funktionäre, in der Stadt durch die Roten Garden oder andere Gangs (Honig: 256, siehe auch Xinran: 160, 185). Während der Kulturrevolution wurden Frauen angegriffen, wenn sie modisch gekleidet waren oder «feminin» aussahen. Die weiblichen Roten Garden zogen sich wie Männer an, wer sich wie eine Frau benahm, konnte als «rückständiges Element» (luohou fenzi) gelten. Es gab auch Fälle, in denen Frauen unter dem Vorwand der «sexuellen Unmoral» attackiert wurden. Eine Frau erzählt: «Damals wurden Leute wegen ihres schlechten Klassenhintergrunds angegriffen. Bei Frauen sagten die Leute zu der Zeit, sie hätten Probleme mit ihrem Lebensstil (ein Euphemismus für sexuelle Unmoral). Solche Probleme mit dem Lebenstil konnten ein schwerer Schlag für dich sein. Wenn sie keinen Grund hatten, dich anzugreifen, sagten sie, du hättest Probleme mit dem Lebensstil. Ich erinnere mich, dass diese Frauen mit Lebensstilproblemen während der Kulturrevolution mit einer Schnur mit getragenen Schuhen um den Hals durch die Straßen geführt wurden und als «ausgelatschte Schuhe» verspottet wurden (ein Euphemismus für «Schlampe»).» (Liu: 38)2

Diese Form der «Moral» spielte dann später bei der Kontrolle und Überwachung der Frauen und ihrer Sexualität in den danwei eine Rolle. Die erste Generation der aufs Land Geschickten kehrte nach Maos Tod 1976 zurück in die Stadt, die zweite Generation nach 1978. Ein Jahr vorher wurden die Aufnahmeprüfungen für die höheren Schulen wieder aufgenommen. Die meisten Frauen bewarben sich aber nicht mehr. Sie hatten schon zu viele Jahre Bildung verpasst. Der ersten Generation wurden Arbeitsstellen in den danwei zugewiesen. Die zweite Generation beendete Anfang der achtziger Jahre die Mittelschule. Aufgrund der Arbeitslosigkeit wurde ihnen oft keine Arbeitsstelle zugewiesen, sie kamen aber in der danwei ihrer Eltern (oft der Mutter) unter.

Arbeit in den staatlichen Kombinaten

Laut Liu spielten die danwei-Führer die Rolle der traditionellen Familienoberhäupter. Die konfuzianische Familie, theoretisch im Sozialismus obsolet, wurde in verschiedene Formen alltäglicher Kontrolle und Diskriminierung übersetzt.3 Die Familienkultur der danwei – die Verbindung der öffentlichen und privaten Sphäre – trug auch zu einer Stärkung der geschlechtlichen Segregation am Arbeitsplatz und der geschlechtlichen Spaltung in der Gesellschaft bei. «Die Mobilisierung der Frauen an den Arbeitsplatz brachte keine Befreiung in der Art, wie sie die sozialistische Rhetorik behauptete. Die sozialistische Arbeitseinheit wirkte als Vermittlerin zwischen der beruflichen Karriere der Frauen und ihrem persönlichen Leben und setzte die patriarchale Funktion der präsozialistischen Institutionen fort. Im Ergebnis wurden die Arbeiterinnen mehr benachteiligt als ihre männlichen Gegenüber und verloren bei der wirtschaftlichen Umstrukturierung.» (Liu: 86)

Die «danwei waren nicht geschlechtsneutral; vielmehr war das Geschlecht eine komplexe Komponente in den Kontrollprozessen.» (Liu: 64) Die Zuweisung von Arbeitsstellen folgte stets unausgesprochenen) Geschlechterlinien. Die geschlechtsspezifische Segregation der Arbeit war horizontal und vertikal. Die horizontale Segregation bestand in der Unterscheidung von «schwerer» und «leichter» Industrie, wobei Frauen in letzterer siebzig Prozent der Beschäftigten ausmachten, in ersterer zwanzig Prozent. Auch die Arbeitsstellen wurden in «schwere» und «leichte» unterteilt. Frauen machten die vermeintlich «leichten» Arbeiten, wobei die Unterscheidung willkürlich war. «Diese Arbeitsteilung nahm den ‹natürlichen› Unterschied zwischen Männern und Frauen als gegeben an und legte die Annahme nahe, dass die ‹schwache› körperliche Konstitution von Frauen besser geeignet war für ‹leichte› Arbeiten.» (Liu: 42) Männer bekamen auch eher Arbeiten, die «Qualifikationen» verlangten, während Frauen weniger qualifizierte Arbeit übernahmen. Wang schreibt mit Bezug auf eine Untersuchung zweier staatlicher Kombinate in Guangzhou: «Der großen Mehrheit der Männer wurden technische Arbeiten zugewiesen, den Frauen nicht-technische, Hilfstätigkeiten und Dienstleistungsjobs, unabhängig vom Ausbildungsstand. Diese geschlechtsspezifische
Beschäftigungshierarchie schrieb die untergeordnete Position der Frauen fest und formte das Selbstverständnis der Frauen.» (Wang: 159, siehe auch: 168/9) Schon in den achtziger Jahren gab es zudem den Trend, dass Arbeiterinnen staatlicherseits in «Nebenbereiche» (Abteilungen für betriebsfremde Zusatzarbeiten, zum Beispiel Kantine, Putzen, Krankenstation) versetzt wurden, um den Überschuss an Arbeitskräften abzubauen (Liu: 43).

Die vertikale Segregation beschreibt die Chancen, beruflich aufzusteigen. In Chinas danwei wurden alle Beschäftigten in Arbeiter (gongren) und Kader (ganbu) eingeteilt. Kader konnten werden: 1. Ex-Soldaten, die mindestens den Rang eines Zugführers hatten; 2. Absolventen von Berufs- und Fachschulen; 3. Arbeiter, die befördert wurden. Aus dem Militär kamen nur wenige Frauen. Bei der schulischen Aus- und Fortbildung wurden sie diskriminiert. Blieb also nur die dritte Möglichkeit. Die Kader waren noch mal geteilt in verschiedene Ebenen, untere Kader, mittlere Kader, höhere Kader. Frauen kamen meist nur auf die erste Ebene. Die es zum Kader schafften, hatten meist symbolische Funktion (wie Leiterin der Jugendliga). Auch bei der Parteimitgliedschaft, eine der Voraussetzungen für Beförderungen und bei der Abwendung von Entlassungen in den neunziger Jahren, waren Frauen benachteiligt.

Die horizontale und vertikale Segregation war verantwortlich dafür, dass Frauen in Niedriglohnsegmenten arbeiteten.4 Hier spielten zwei Gesichtspunkte eine Rolle: biaoxian, wörtlich Leistung oder Verhalten, hier genauer die Arbeitsleistung verbunden mit politisch korrektem Verhalten, die von Vorgesetzten beurteilt wurden; und guanxi, die Beziehungen oder Verbindungen mit höheren Angestellten oder Funktionären und die Leistung von Gefälligkeiten. Beide hängen eng zusammen, da sie Formen von Leistungsdruck, Gehorsam, Wohlverhalten, und «emotionaler Arbeit» beinhalten. Die Bewertung von biaoxian bildete die Grundlage für die Verteilung von Lohn und anderen Leistungen sowie Beförderungen. Neben der Arbeitsleistung wurde der soziale Rahmen kontrolliert, und damit spielte auch eine moralische Komponente eine Rolle, also inwieweit sich eine Frau entsprechend ihrer Stellung, ihrem Geschlecht und ihrer Rolle (zum Beispiel als Mutter) gebührlich verhält.

Die guanxi waren und sind Grundlage, um das Wohlwollen von Vorgesetzten und Funktionären zu erhalten. Sie spielen bei allen Fragen der Arbeit und des sozialen Lebens in China eine Rolle, zum Beispiel für den Erhalt einer Arbeitsstelle oder Wohnung sowie für Beförderungen. Da Frauen in den danwei an untergeordneter Stelle standen, versuchten Arbeiter und Arbeiterinnen vor allem mit Männern in gehobenen Positionen Kontakte aufzubauen. Frauen wiederum hatten oft nur Kontakt zu unteren Kadern, also solchen mit geringem Einfluss, «schlechten guanxi».

Insgesamt konnten sich Frauen weniger um biaoxian und guanxi kümmern, weil sie neben der Lohnarbeit noch die Hausarbeit übernehmen mussten. Zudem haben sie oft in der danwei des Ehemanns gewohnt (oder dort in niedrigerer Stellung gearbeitet), hatten also meist keine eigenen Netzwerke, sondern mussten auf die guanxi des Mannes zählen.
Wenn Frauen gute guanxi aufbauen konnten, gerieten sie oft – auch unter Kolleginnen – in den Ruf, dafür sexuelle Gegenleistungen zu erbringen. Andersherum nutzten Männer in
gehobenen Positionen ihre Stellung gegenüber den Frauen aus, um diese sexuell unter Druck zu setzen und zu belästigen. Frauen mussten also Strategien entwickeln, um dem zu entgehen, ohne ihre männlichen Vorgesetzten zu Feinden zu machen, und gleichzeitig ohne unter den anderen Arbeiterinnen in schlechten Ruf zu kommen. «Für Frauen galt als goldene Regel für die Sicherung eines guten Rufes, engen Kontakt mit Männern zu vermeiden, was aber den Praktiken von biaoxian und guanxi entgegen stand.» (Liu: 64) Frauen hatten wenig Raum, um diesem Druck zu entgehen. Sie blieben einfache Arbeiterinnen, bis sie entlassen wurden.

Das Leben in der danwei war laut Liu von Formen des Familiarismus bestimmt. Sie beleuchtet vier Aspekte: die Eheanbahnung (zur Verheiratung der jungen Leute), die Zuteilung von Wohnungen (Druck zur Heirat), die Überwachung des Familienlebens (zur Absicherung der Ehe) und die Familienplanung (zur Bevölkerungskontrolle).

Die Eheanbahnung (zur Verheiratung der jungen Leute) gilt in China als tugendhaft. Oft sind viele Menschen, Kader und einfache Arbeiter und Arbeiterinnen damit beschäftigt, die Jungen zu verheiraten. Früher wurde es auch als Aufgabe der danwei gesehen. Schwierigkeiten ergaben sich, wenn jemand abgelehnt wurde oder es nach der Heirat Probleme gab, weil das auch das Verhältnis zu der Person betraf, die Eheanbahner gespielt hatte. Frauen, die nicht heiraten, gelten als «komisch». Manche heiraten nur, um dem sozialen Druck und der Diskriminierung zu entgehen. Bei alleine lebenden Männern sind viele Chinesen toleranter. Als gerade noch akzeptables Heiratsalter von Frauen gilt 25, bei Männern 35.

Die Zuteilung von Wohnungen (Druck zur Heirat) war ein allgemeines Problem. Sie waren rar und sollten von den danwei zugewiesen werden. Dabei wurden männliche Arbeiter bevorzugt. Oft konnten nur sie einen Antrag auf eine Wohnung stellen. Alleinstehende Männer bekamen oft einen Wohnheimplatz, Frauen mussten bei ihrer Familie bleiben. Die traditionelle Form wurde fortgesetzt: Die Frau trat in die Familie (hier: danwei) des Mannes ein. «Diese Regelung der Frage des Wohnens in der danwei stärkte noch die traditionelle Vorstellung von der weiblichen Abhängigkeit in der Ehe und im Familienleben.» (Liu: 69) Mütter übertrugen diese Ideologie auch auf ihre Töchter. Sie sorgten für sie, bis sie eine Arbeit fanden und heirateten. Dann erwarteten sie, dass die Familie des Ehemanns der Tochter die Wohnung (und das Geld für die Heirat) bereitstellt. Wenn es Eheprobleme gab, konnten die Frauen sehen, wie sie mit der Wohnungssituation klar kommen. Da sie keine eigene Wohnung hatten, mussten sie unter Umständen zurück zu ihren Eltern ziehen. Aber schon vorher gab es Schwierigkeiten, zum Beispiel wegen der langen Anfahrtszeiten zur Arbeit (in einer anderen danwei) oder der Mitnahme der Kinder in den danwei-Kindergarten der Frau. Heute gibt es einen Markt für Mietwohnungen, aber die Mieten sind so hoch, dass die meisten Frauen sie sich nicht leisten können.

Die Überwachung des Familienlebens (zur Absicherung der Ehe) geschah innerhalb der danwei. Die Funktionäre hatten ein Interesse an der Aufrechterhaltung guter Beziehungen unter den Arbeitern und Bewohnern. Bei Streit mischte sich ein «Schlichtungs-» oder «Nachbarschaftskomitee» ein. «Was für Begründungen die Komitees den Leuten mit Problemen auch immer gaben, sie versuchten Frauen davon zu überzeugen, den geschlechtsspezifischen sozialen Erwartungen zu entsprechen und Kompromisse zu schließen, um die familiäre Harmonie zu bewahren.» (Liu: 71) Zum Beispiel rieten sie Frauen, deren Männer fremdgingen, bei sich selber zu schauen, was sie alles falsch machten. Trotz all der sozialistischen Rhetorik über die Gleichberechtigung in der Familie überwog in der gelebten Realität die traditionelle Ideologie über Geschlechterrollen. In den danwei-Wohneinheiten wurden die Frauen auch von den Nachbarn kontrolliert, die den Komitees Bericht erstatteten.

Die Familienplanung (zur Bevölkerungskontrolle) durchlief in China unterschiedliche Phasen. Von den fünfziger bis in die siebziger Jahre hatte China, auch unterstützt durch Regierungspropaganda, hohe Geburtenraten – mit Ausnahme der Zeit des «Großen Sprungs» Anfang der sechziger Jahre, als der immense Arbeitsdruck, die prekäre Versorgungslage und Hungersnöte die Geburtenrate drückten. Nach 1979 begann die staatliche Kontrolle der Geburten über die sogenannte Ein-Kind-Politik. Die danwei-Leitung überwachte die reproduktiven Leistungen der Arbeiterinnen. «Es sind die Körper der Frauen, die all diese vorgeschriebenen Verfahren durchlaufen, wie die eingehende Untersuchung, erzwungene Abtreibungen oder Geburtshilfe.» (Liu: 74) Paradoxerweise konnten Frauen die Ein-Kind-Politik, bei der sie offiziell zum Wohle der «Nation» auf weitere Kinder verzichten, zum Teil auch nutzen: Sie verweigerten weitere Kinder, um sich mehr Freiraum zu schaffen. Andere Frauen hielten (und halten) die Ein-Kind-Politik allerdings auch für ein «weiteres Opfer»,5 das sie für den Staat erbringen mussten (Liu: 76). Frauen kamen unter Druck, wenn das erste Kind ein Mädchen war. Hier gerieten sozialistisches und traditionelles Patriarchat aneinander: Die Familie erwartete einen Jungen zur Fortsetzung der Familienlinie, der Staat erlaubte nur ein Kind. Die Last lag vor allem auf den Frauen, deren Verhalten überwacht wurde.6 Liu setzt sich auch mit der Frage der Kontrolle über die Zeit unter dem Gesichtspunkt der geschlechtlichen Arbeitsteilung auseinander. Da die Definition von Zeit abseits der entlohnten Arbeitszeit eine Manifestation von geschlechtlicher Diskriminierung ist, unterscheidet sie zunächst vier Arten: notwendige, festgelegte, gebundene und freie Zeit.7 «Die notwendige Zeit bezieht sich auf die Zeit, die gebraucht wird, um die grundlegenden physiologischen Bedürfnisse wie Schlafen, Essen, persönliche Pflege, Gesundheit und Sex zu bedienen. Festgelegte Zeit bezeichnet regulär entlohnte Arbeit. Die Zeit, um zur Arbeit zu kommen, ist hier mit enthalten… Gebundene Zeit umfasst Hausarbeit, Hilfeleistungen, Versorgung und Unterstützung aller Art, vor allem Kinder betreffend, das Einkaufen und so weiter. Freie Zeit ist die Zeit, die übrig bleibt, wenn die anderen Zeitformen abgezogen sind.» (Liu: 76/7) Der «Reichtum an Zeit» besteht darin, über Zeit zu verfügen, darüber Kontrolle auszuüben und zeitliche Rhythmen zu haben, die denen anderer Familienmitglieder entsprechen. Liu nennt das auch «persönliche Zeitsouveränität» (Liu: 83).

Die Organisation der danwei schuf für die Frauen immer wieder Zeitkrisen und hatte Anteil an der Aufrechterhaltung der geschlechtlichen Hierarchie dort. Trotz Lohnarbeit und damit Aufwendung von Arbeitszeit (festgelegter Zeit) waren Frauen nicht von den «traditionellen» Aufgaben einer «guten Ehefrau und Mutter» befreit. Die Mehrzahl der von Liu interviewten Frauen mussten im Dreischichtsystem an Maschinen arbeiten. Sie waren der Maschinenzeit unterworfen, während in ihren Betrieben Männer die Arbeitsstellen einnahmen, die mehr Kontrolle über die Zeit zuließen (Tagesschicht, Reparatur, Büro…). Die Frauen mussten ständig die Zeitkrisen lösen, die auch durch das Dreischichtsystem mit der Verwischung von Tag und Nacht, und durch die Widersprüche zwischen festgelegter (Arbeit, Fahrweg) und gebundener Zeit (Hausarbeit oder «Haushaltsmanagement», Kinder) entstanden (Liu: 79). Das führte in der Regel zu einem ständigen Kampf zwischen Arbeit und Familienaufgaben und zu Erschöpfung. Viele Frauen haben dann – ohne Rücksicht auf biaoxian und guanxi – die Arbeitstellen getauscht, oft gegen untergeordnete, schlechter entlohnte, die aber mehr Zeit ließen.

Auch wenn die danwei zum Teil Hilfestellung leistete, um den Arbeiterinnen die Ableistung von Lohn- und Hausarbeit zu ermöglichen, so bleibt festzuhalten, dass diese Arrangements gleichzeitig bedeuteten, dass die Frauen nicht als vollwertige Arbeiter genommen wurden. Die «Ablenkung durch ihre Familie» war dann ein Grund, warum Frauen bei der Entscheidung über die Entlassungen zuerst ausgewählt wurden (Liu: 81).

Auch bei der Nicht-Arbeitszeit (nicht festgelegte Zeit) waren Frauen benachteiligt. In den danwei mussten alle Arbeiter und Arbeiterinnen außerhalb der Arbeitszeit an Veranstaltungen teilnehmen, zum Beispiel an politischen Schulungen. In den achtziger Jahren wurden zudem Prüfungen eingeführt, die vor Beförderungen bestanden werden mussten. Das Lernen dafür fiel auch in die Nicht-Arbeitszeit. Frauen hatten mehr Probleme, hier Zeit zu investieren, da sie neben der Lohnarbeit noch die Hausarbeit machen mussten. Nach einer Studie des Chinesischen Frauenverbandes von 1990 machten Frauen pro Tag über 260 Minuten Hausarbeit, Männer 130 Minuten (Liu: 82).8 Auch für soziale Aktivitäten hatten Frauen kaum Zeit. Ihre Möglichkeiten, während der Ehe mit anderen Menschen soziale Kontakte zu pflegen, waren wegen der traditionellen geschlechtlichen Diskriminierung eingeschränkt. Sie blieben «tugendhaft» zu Hause. Ihre sozialen Beziehungen fanden sie deswegen weitgehend während der Arbeitszeit. Hier entwickelten sie ihre sozialen Netzwerke und tauschten Informationen aus. Allerdings bewegten sich ihre Themen weitgehend um ihre traditionellen Rollen als Ehefrau und Mutter, was diese Rollen noch verstärkte.

Rückkehr an Heim und Herd

In der Reformphase ab 1978 nahmen die Lohn- und Einkommensunterschiede und die geschlechtliche Segregation des Arbeitsmarktes weiter zu. Schon ab Anfang der achtziger Jahre gab es Kampagnen, in denen städtische Frauen aufgefordert wurden, «nach Hause zurückzukehren» (hui jia). Damals waren zunächst die über zehn Millionen «Jugendlichen, die vom Land zurückkehren» Ursache für eine steigende städtische Arbeitslosigkeit, die mit der Rückkehr der Frauen an Heim und Herd gesenkt werden sollte. Die Frauen sollten raus aus den danwei, auch um die Produktivität der sozialistischen Planwirtschaft zu erhöhen. Sie sollten wieder Opfer bringen für die «Nation» (Wang: 163/4).

Als bei den Umstrukturierungen der neunziger Jahre, verstärkt ab 1997, über 85 Prozent der Entlassungen in den industriellen danwei stattfanden, waren die Frauen wieder stärker betroffen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Ihr Anteil an den Beschäftigten in den industriellen danwei war besonders hoch. Geschlecht und Alter waren die kritischen Faktoren bei der Auswahl der Arbeiter und Arbeiterinnen, die entlassen werden sollten, weniger die Qualifikation und Bildung. Viele Frauen mussten schon mit 40 Jahren den Job verlassen, Männer oft erst mit 50.9 Dahinter stand auch die Vorstellung, dass Männer im Alter leistungsfähiger sind als Frauen. Männer wurden bei guter Auftragslage oder späteren «Einstellungen» auch eher zur Arbeit zurückgeholt, selbst wenn sie vorher in Rente geschickt worden waren. Zudem wurden die Hilfstätigkeiten und Dienstleistungen, die von Frauen ausgefüllt wurden, zuerst abgewickelt.

Hier spielten auch wieder guanxi (Beziehungen) eine Rolle. Männer hatten mehr Möglichkeiten, die Zwangsverrentung und die damit zusammenhängenden finanziellen Einbußen abzuwenden, indem sie ihre Kontakte spielen ließen oder sich versetzen ließen. Liu beschreibt aber auch, wie die von ihr interviewten Frauen die Entlassung oder Pensionierung nicht tatenlos ertrugen, sondern Mittel und Wege suchten, ihre Interessen zu verteidigen. Sie ließen sich noch mal versetzen, krank schreiben, nutzten die guanxi der Ehemänner oder nahmen die für sie beste Form der Entlassung oder Verrentung in Anspruch. Zum Teil akzeptierten die Frauen die Abwicklung auch, weil sie damit mehr Zeit für ihre Aufgaben in der Familie hatten – sofern sich das finanziell tragen ließ. In dem Fall fand das auch die Unterstützung ihrer Ehemänner. Die Arbeit der Frauen galt beiden als Zuverdienstform, die Hausarbeit als Pflichtaufgabe. Aber diese «Wahlmöglichkeit» war begrenzt.

Wang zitiert einen Manager, der deutlich macht, dass Frauen auch deswegen zuerst entlassen wurden, weil sie sich angeblich weniger widersetzten. Er sagte: «Wenn sie Männer entlassen, betrinken die sich und machen Schwierigkeiten. Aber wenn sie Frauen entlassen, gehen die einfach nach Hause und nehmen das still hin.» (Wang: 162) Dies deutet auf eine Strategie der Parteiführer und Fabrikdirektoren hin, denen es vor allem darum ging, soziale Kämpfe zu vermeiden. Sie kalkulierten, dass es weniger Unruhe stiftet, wenn sie die Frau einer Familie entlassen und den Mann nicht.

Nach der Entlassung hatten die Betroffenen zwar noch ihre Wohnung, ansonsten aber keine der Zulagen und Vergünstigungen wie medizinische Versorgung. Hart war das insbesondere für die «rausgekauften» Frauen, die eine Abfindung bekamen, weil deren Verbindung zur danwei komplett gekappt wurde. Eine ehemalige Arbeiterin sagt dazu: «Wir haben keine Verbindung zu unser früheren danwei. Sie behandeln uns, als hätten sie vergammeltes Fleisch weggeworfen.» (Liu: 107)

Die abgewickelten Frauen fanden auch wenig Unterstützung durch die neu eingeführten Formen der «drei Garantien», die geringfügigen Unterstützungszahlungen für entlassene ArbeiterInnen. Aufgrund der Finanzkrise der danwei und von Korruption funktionierten diese nicht. Abgeschnitten von den formalen Formen staatlicher Unterstützung mussten die Frauen auf informelle Formen zurückgreifen, die im Übergang zur Marktwirtschaft zunahmen. Der Zerfall oder das Abschneiden von der danwei stärkte auf der anderen Seite die familiären Beziehungen, auf die sich die Entlassenen nun stützen mussten.

Zum Teil gab es auch gegenseitige Unterstützung der entlassenen Frauen untereinander. Der Druck, eine neue Arbeit zu finden, war groß, zum Teil wegen der finanziellen Probleme aufgrund der Entlassung, zum Teil, weil die Kinder in der Pubertät waren und die steigenden Kosten für Schule und Ausbildung getragen werden mussten. Bei der Suche nach Arbeit spielten wieder die guanxi eine Rolle, die Verbindungen zu Macht und Einfluss, aber auch Formen «sozialen Kapitals», Kontakte der Frauen in ihren eigenen Netzwerken, zum Beispiel zu alten Arbeitskolleginnen, Ressourcen, auf die sie dort zurückgreifen konnten.

Frauen fanden aufgrund des vorherigen, niedrigeren sozialen Status und der im Vergleich «schlechteren» Verbindungen wiederum vorwiegend Jobs in den unteren Arbeitsmarktsegmenten oder als prekäre Straßenhändlerinnen.10 «Frauen mit schlechtem sozialem Kapital waren gefangen im Teufelskreis von niedrig entlohnter, ungelernter Teilzeitarbeit, die wiederum wenig soziales Kapital zur Verfügung stellten. Frühere Kader waren in der Lage, ihre soziale Position zu wahren; die Arbeiterinnen dagegen waren anfällig für sozialen Abstieg.» (Liu: 115) Das geschlechtsspezifische networking reproduziert die Segregation des Arbeitsmarktes. Für die neu geschaffenen Jobs in den «privaten» Dienstleistungen waren die Entlassenen zu alt, hatten zu geringe Qualifikationen, waren nicht feminin und charmant genug. Die Jobs bekamen die jungen
und attraktiven Frauen, die vom Land und von den Schulen auf den städtischen Arbeitsmarkt drängten. Während die Frauen aufgrund der Probleme oft niedrig entlohnte Jobs akzeptierten, lehnten die Männer solche oft ab, weil sie es als würdelos empfanden, schlecht angesehene, niedere Arbeiten zu verrichten. Zum Teil hielten die familiären Verpflichtungen zur Hausarbeit die Frauen davon ab, sich wieder Jobs zu suchen. «Sie wurde eine Vollzeit-Familiendienerin», schreibt Liu über eine Frau (Liu: 115). Die meisten Frauen mussten sich darüber hinaus nicht nur um die eigene Familie kümmern, sondern wurden auch von der weitläufigen Familie als unbezahlte Arbeitskraft gesehen, die sie ausnutzen konnte.

Die Großteil der Frauen, die Liu interviewte, hatte eine Lohnarbeit, aber keine von ihnen – sofern in der Privatwirtschaft – besaß einen Arbeitsvertrag oder eine genaue Regelung der Arbeitsstunden bei Teilzeitarbeit. Viele wurden von ihren Arbeitgebern belästigt und beschimpft. Die sich selbständig machten, verloren oft Geld und wurden von den Behörden schikaniert. Das produzierte auch eine Art Nostalgie für die Verhältnisse in den danwei, insbesondere die soziale «Sicherheit» dort. Nur die wenigen, die tatsächlich beruflich erfolgreich waren, sahen die Umstrukturierung und soziale Umwälzung positiv, weil sie die neuen «Freiheiten» schätzten.

Die folgende Generation

Liu interviewte auch die Töchter der Frauen. Die meisten von ihnen waren nach Einführung der Ein-Kind-Politik geboren worden. Anders als ihre Mütter standen sie als einziges Kind im Mittelpunkt der Familienaufmerksamkeit. Die «traditionelle» chinesische Familie war noch eltern-orientiert, das bedeutete, die Bedürfnisse der Eltern stehen über denen der Kinder. Die Kinder sollen den Eltern Ehre erbieten. Mit dem Erwachsenwerden der ersten Ein-Kind-Generation bricht diese Konstellation nach und nach zusammen.11

In den danwei wurde die Ein-Kind-Politik strikt angewandt,12 sodass viele Familien nur eine Tochter haben konnten. Die Bildungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen wurden in der Folge teilweise aufgehoben. Viele aus der «unglücklichen Generation», die wenig Bildung erfahren und zahlreiche Rückschläge erlebt hatten, investierten viel in die Entwicklung und Ausbildung ihrer Töchter, «um indirekt ihre eigenen unerfüllten Träume zu realisieren.» (Liu: 126)

Die Arbeit um die Kinder lag weiterhin auf den Schultern der Mütter, die Väter hielten sich raus. In manchen Familien kümmerte sich die Mutter um alle Lebensaspekte, der Vater lediglich um erzieherische Fragen. Mütter versuchten ihre Arbeit an die Bedürfnisse des Kindes anzupassen, zum Beispiel indem sie die Wechselschichten gegen Tagesschichten tauschten, um mehr Zeit für das Kind zu haben, auch wenn das einen beruflichen Abstieg bedeutete.

Die «unglückliche Generation» von Frauen hatte nun eine dreifache Belastung: Sie mussten ihrer eigenen Elterngeneration «Ehre erbieten» und sich um deren Bedürfnisse kümmern, sie taten alles für ihre eigenen Kinder, und sie mussten noch auf die Ansprüche ihrer Ehemänner eingehen. Nach der Entlassung aus den danwei – ihrer «Heimkehr» – wurden sie zeitweilig oder endgültig zu Vollzeitmüttern. Die Töchter sahen diese Entwicklung positiv, weil die Mütter sich mehr um sie kümmerten und «regelmäßig kochten». Töchter akzeptierten, dass die Mütter, da ohne Qualifikation, entlassen wurden. Das war für sie ein notwendiges Opfer der alten Generation beim Übergang zu einer Marktwirtschaft. Hier stand auch für sie die «Gesellschaft» mit ihren Interessen über denen der «Individuen». Sie unterstützen die Reformen, obwohl ihre Mütter dadurch den Job und die Sicherheit der danwei verloren hatten, und akzeptierten weitgehend die offiziellen Parolen und Erklärungen, mit denen die sozialen Härten, welche die Reformen begleiteten, gerechtfertigt wurden: Stimulation der eigenen Initiative, Unterstützung der jungen Berufstätigen durch Hausangestellte aus den danwei, Platz frei für junge Arbeiterinnen.

Die Töchter kennen die Hoffnungen, die ihre Mütter in sie setzen, und sind selbst ehrgeizig. «Das Streben der Töchter nach Erfolg spiegelt die Wertstellung von Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit wider, die beim Übergang zu einer Marktwirtschaft stark in den Vordergrund gestellt wurden.» (Liu: 133) Die Töchter wollen auch auf keinen Fall die Vergangenheit ihrer Mütter wiederholen. Während für die Mütter ihre Arbeit ein Job war und es wenig um Aufstieg und Karriere ging, sind die Töchter ganz anders. Ihnen geht es um ihre persönliche Entwicklung. Sie wollen sich nicht mehr für die Familie aufopfern und für ihre Kinder (oder die Eltern) leben (Jaschok: 122). Dabei nutzen die Töchter zum Teil die Dienste ihrer Mütter, die auf die Enkel aufpassen, während die Töchter gleichzeitig ihr eigenes Leben führen, ihre Zeit anders nutzen. Sie wollen sich nicht wie die Mütter für die Familie aufopfern, belassen diese aber genau in so einer Situation.13

Während nur wenige der Mütter geschlechtliche Diskriminierung als Ursache für ihre Entlassungen erkannten und Nachteile auf biologische Unterschiede schoben, die sie für gegeben hielten, waren die Töchter sich der geschlechtlichen Ungleichheit bewusster. Die Töchter erfahren Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, sexuelle Belästigung und Gewalt, die ihren Raum und ihre Möglichkeiten beschränken. «Die weiten sozialen Zwänge, die auf Frauen wirken, sind im China nach Mao beherrschend.» (Liu: 135) Die jungen Frauen haben ihre Ziele, planen ihre Karriere. Sie betonen ihre Unabhängigkeit – gleichzeitig erwarten sie aber in der Zukunft ein Leben mit einem Ehemann als «Brotverdiener» für die eigene Kleinfamilie. Hier zitiert Liu Maria Jaschok: «Jaschok
interpretierte die «erwachenden Wünsche [junger Frauen] nach Änderung und Anpassung» mehr als «eine Modernisierung etablierter Formen denn als Experimentieren mit alternativen Lebensstilen.» (Liu: 135/6; Jaschok: 126) Liu ergänzt: «Die Töchter schienen zwei Wertesysteme zu haben, die aus Vergangenheit und Gegenwart stammen, aus Tradition und Modernität; die Widersprüche dieser Wertsysteme zeigen sich in den Spannungen und Brüchen, die aus diesen gegensätzlichen Ideologien entstehen.» (Liu: 136) Sie müssen individualistische und kollektivistische Orientierungen
zusammenbringen. Sie wollen ein modernes und unabhängiges Leben ohne sexistische Diskriminierung, aber sie halten an den Glücksversprechen von Ehe und Familie fest.14

Lius Untersuchung zeigt, dass proletarische Frauen – vor allem die älteren – einen überproportional großen Teil der Kosten der wirtschaftlichen Reformen in China tragen mussten und müssen. Die Entlassung der Frauen aus den danwei ist das Ergebnis einer «Anhäufung lebenslanger geschlechtlicher Ungleichheiten» (Liu: 143), vom Großen Sprung bis heute. Schlechtere Bildungschancen, mehr Belastungen im Haushalt und in der Familie, mehr Druck im Alltag, stärkere Überwachung persönlichen Verhaltens, enge Kontrolle der Sexualität und Fortpflanzung, schlechtere Aufstiegschancen bei der Arbeit, beschränktes soziales Netz, geringere Löhne: die Liste der Folgen struktureller und persönlicher Diskriminierung von Frauen ist lang. Dabei halten die Frauen der «unglücklichen Generation» selbst an Vorstellungen wie dem «natürlichen Unterschied von Mann und Frau» und weiblicher Opferbereitschaft fest. Auch sie können das patriarchale Vermächtnis des Konfuzianismus, die Patrilinearität (Vaterfolge) und die enge Kontrolle über die Keuschheit und Monogamie der Frauen nicht einfach abstreifen. Und wenn ihre Töchter hier ihre eigenen Wege suchen, haben sie doch bisher nicht vollkommen mit den «traditionellen» Vorstellungen gebrochen. Trotzdem bleibt die Hoffnung, dass sich die jungen Frauen mehr Kontrolle über
das eigene Leben erkämpfen.


Literatur

Honig, Emily (2002): Maoist Mappings of Gender: Reassessing the Red Guards. In: Brownwell, Susan/Wasserstrom, Jeffrey N. (2002): Chinese Femininities, Chinese Masculinities: A Reader. Berkeley, Los Angeles/London

Jaschok, Maria (1995): On the Construction of Desire and Anxiety: Contestations Over Female Nature and Identity in China’s Modern Market Society. In: Einhorn, Barbara/Yeo, Eileen James: Women and Market Societies: Crisis and Opportunity. Cambridge

Lipinsky, Astrid (2006): Der Frauenverband und die Arbeit im Privathaushalt. In: Lipinsky, Astrid, Der Chinesische Frauenverband. Eine kommunistische Massenorganisation unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Bonn, S. 215-254

Liu Jieyu (2007): Gender and Work in Urban China. Women workers of the unlucky generation. London/New York

McLaren, Ann (2004): Women’s Work and ritual space in China. In: McLaren, Ann (ed.): Chinese Women – Living and Working. London/New York

Pun Ngai/Li Wanwei (2006): Shiyu de husheng. Zhongguo dagongmei koushu. Beijing (Deutsch: Pun Ngai/Li Wanwei: dagongmei – Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen. Berlin 2008).

Solinger, Dorothy J. (2002): Labour Market Reform and the Plight of the Laid-off Proletariat. In: China Quarterly, No. 170, 2002

Wang Zheng (2003): Gender, employment and women’s resistance. In: Perry, Elizabeth J./Selden, Mark: Chinese Society, Second Edition. Change, conflict and resistance. London/New York

Xinran (2003): The Good Women of China: Hidden Voices. London (deutsch: Xinran: Verborgene Stimmen. Chinesische Frauen erzählen ihr Schicksal. München 2005)

Zuo Jiping (2006): Women’s Liberation and Gender Obligation Equality in Urban China: Work/Family Experiences of Married Individuals in the 1950s. Relations Centre, RSPAS, The Australian National University and St. Cloud State University, Minnesota, USA. Online: http://rspas.anu.edu.au/grc/publications/pdfs/ZuoJ_2006.pdf (aufgerufen am 25. Juni 2007).


Fußnoten

1 Eine Entsprechung für die «Erwachsenen» ist nanzun nübei, etwa: Frauen sind Männern untergeordnet. Diese sexistischen Slogans sind Teil des neo-konfuzianischen Breis, der in China auch weiterhin viele gesellschaftlichen Diskurse verklebt.

2 Bis heute benutzen viele Chinesen diese Bezeichnung. Zum Beispiel haben geschiedene Frauen, vor allem jene mit Kindern, oft Probleme, neue Partner zu finden, weil sie als «ausgelatschte Schuhe» gelten. Scheidung verspricht Frauen in China heute keine (neue) Unabhängigkeit, sondern Einsamkeit, wirtschaftliche Unsicherheit und Tratsch (siehe Jaschok: 119).

3 Die modernisierte Übernahme der feudalistischen Strukturen gilt nicht nur für die patriarchalen Formen (und findet sich auch in anderen asiatischen Ländern). Die kaiserlichen, staatlichen Einheiten in China, von den Mandarinen bis runter zu den Dorfvorstehern, fanden sich in neuer Fassung auch in den sozialistischen Strukturen wieder.

4 Wang weist allerdings darauf hin, dass ein Grund für die Akzeptanz der geschlechtsspezifischen Zuweisung von «schlechteren» Jobs an Frauen darin zu suchen ist, dass die Unterschiede beim Lohn und den Sozialleistungen der danwei relativ gering waren – im Einklang mit dem Egalitarismus der Maoisten – und zudem die Lage der städtischen Frauen, die in den danwei beschäftigt waren, sehr viel besser war als die der Frauen auf dem Land (Wang: 160).

5 Zum konfuzianischen und nationalistisch-sozialistischen Hintergrund des Opfergedankens (für den Herrscher, den Staat, die Partei, die Familie) siehe Zuo: 16.

6 Heute gibt es in China weit mehr Männer als Frauen, weil viele Eltern vor der Geburt einen Geschlechtstest machen – und falls es ein Mädchen ist, den Fötus abtreiben. Das Verhältnis liegt bei etwa 117 Männern auf 100 Frauen.

7 Liu bezieht sich hier auf Davies, K. (1990): Women, Time, and the Weaving of the Strands of Everyday Life. Aldershot: Avebury. Davies spricht (auf Englisch) von «necessary», «contracted», «committed» and «free time».

8 Lipinsky schreibt, dass im Jahr 2001 in 85 Prozent der Familien die Frauen für «Kochen, Kleiderwäsche, Geschirrspülen, Aufräumen, Putzen und andere Haushaltstätigkeiten zuständig» sind und Frauen täglich vier Stunden mit Hausarbeit verbringen, gegenüber 2,7 Stunden für Männer. Dieser Durchschnitt schließt Land und Stadt ein, nur für die Stadt gerechnet bleiben 1,7 Stunden für Männer täglich (Lipinsky: 224).

9 Zum Teil auch 45 und 55; offizielles Rentenalter ist bisher 50 und 60.

10 Zum Beispiel auch als Hausangestellte oder Taxifahrerinnen: Zu Taxifahrerinnen siehe Besprechung des Films «Die Taxischwestern von Xi’an» in diesem Heft S. 77.

11 Im öffentlichen Diskurs – weitgehend von Partei und Staat sowie der älteren Generation getragen – finden sich noch viele Verweise auf die Ehrerbietung gegenüber den Eltern, seit einigen Jahren auch mit offenem Bezug auf die reaktionäre konfuzianische Lehre.

12 Das galt und gilt nicht für alle gesellschaftlichen Bereiche in China.

13  Diese Haltung der Kinder von ArbeiterInnen, die auf keinen Fall selbst ArbeiterIn sein wollen, aber auch der Eltern, die ihren Kindern was «Besseres» wünschen, findet sich weltweit. Ob die Kinder es schaffen und keine «dreckigen» Jobs mehr machen müssen, ist eine andere Frage.

14 Ähnliche Einstellungen finden sich auch bei den dagongmei, den jungen Frauen, die vom Land in die Städte gehen und dort in den Fabriken arbeiten (siehe Pun/Li 2006).

 

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