Die Proteste 2002


[Beitrag aus der Beilage Unruhen in China, wildcat #80, Dezember 2007, zu einem Protest städtischer ArbeiterInnen (工人 gongren). Er illustriert den Beitrag Die unglückliche Arbeitergeneration – Lage und Proteste der städtischen ArbeiterInnen und Arbeitslosen]

Der Nordosten Chinas war früher ein Zentrum der Schwerindustrie und gilt heute als «Rostgürtel». Im Jahr 2002 erschütterten viele Arbeiterunruhen die Städte Liaoyang in der Provinz Liaoning und Daqing in Heilongjiang, möglicherweise die größten selbständigen Arbeiteraktionen in der Geschichte der Volksrepublik China.

Fast die gesamte Erdöl- und Gasproduktion des Landes ist in der Hand der staatseigenen PetroChina. Ende 2000 wurden die Erdölfelder von reorganisiert. Den Arbeitern wurde erzählt, die Firma stünde kurz vor dem Konkurs und es drohe eine Massenentlassung ohne Abfindungen. Deshalb erklärten sich 50.000 (von 260.000) bereit, die Abfindung zu nehmen. Die wenigsten fanden neue Jobs, und mit der Abfindung ging der Anspruch auf die Sozialleistungen der Erdölverwaltung verloren. Immerhin bezahlte die Firma weiterhin die Heizung. Auslöser für die Proteste war die Ankündigung, dass auch diese letzte Leistung eingestellt wird. In Heilongjiang sind die Winter lang und kalt.

Die Demonstrationen begannen am 1. März mit wenigen tausend Beteiligten, deren Zahl in den nächsten Tagen auf 50.000 stieg. An jedem Arbeitstag wurde demonstriert, und man sitzstreikte vor der Erdölbehörde. Es sollen sich auch noch beschäftigte Arbeiter angeschlossen haben, unter anderem weil sie höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen sollten, während Manager horrende Abfindungssummen kassierten. Die Produktion wurde nicht behindert.

Organisiert wurden die Proteste vom «Provisorischen Gewerkschaftskomitee der von der Erdölbehörde abgebauten Arbeiter». Sie verliefen anfangs weitgehend friedlich. Dann änderten die Behörden ihre Taktik, unter anderem weil eine Ausweitung drohte.

Am 19. März wurden mehrere Demonstranten bei Auseinandersetzungen mit der Polizei verletzt. Am 22. März besetzte ein Großaufgebot von Polizei und Militär die Versammlungsplätze. Dutzende Aktivisten wurden verhaftet. Die Aktionen gingen trotzdem weiter.Die Demonstranten riefen aber keine Parolen mehr, weil alle, die damit anfingen, Gefahr liefen, verhaftet zu werden oder zu verschwinden. Den noch beschäftigen Arbeitern stellte die Erdölverwaltung eine Lohnerhöhung in Aussicht. Am 27. Mai, 13 Wochen nach Beginn der Proteste, versammelten sich wieder mehr als 10.000 Leute.

Liaoyang ist von der Reform der Staatsbetriebe besonders betroffen: bis zu achtzig Prozent der ArbeiterInnen sollen «Freigestellte» sein. Es gab offenbar schon lange eine informelle Untergrundorganisation, deren Kern Arbeiter des FerroAlloy-Werks (Eisenlegierungen) bilden. Die Arbeiter dieser Fabrik hatten in den Jahren 2000 und 2001 größere Aktionen gegen Löhnrückstände und Werksschließungen gemacht.

Anlass für die erste Demo (11. März): Der Bürgermeister hatte in einem Fernsehinterview gesagt, dass es in seiner Stadt keine Arbeitslosen gäbe. Mehrere Tausend aus mehreren, zum Teil bankrotten Fabriken, demonstrierten daraufhin für seine Entlassung. In den nächsten Tagen wurden die Demos immer größer, bis zu 30.000 Teilnehmer. Auch hier reagierten die Behörden mit «Zuckerbrot und Peitsche»: Lohnrückstände wurden zum Teil gezahlt, anderen die baldige Zahlung ihres Arbeitslosengeldes versprochen, Korruptionsuntersuchungen gegen Manager des Eisenwerks angekündigt.

Am 17.3. wurde Yao Fuxin, ein Arbeiter des Eisenwerks verhaftet, was erst recht die Proteste anfachte, die jetzt nur noch eine Forderung hatten: «Freilassung von Yao Fuxin!» Später gab es weitere Verhaftungen.

Die Repression bediente sich wie in Daqing zweier Taktiken: einer starken Präsenz von Sicherheitsorganen in der Stadt zur Einschüchterung und der Jagd nach den Rädelsführern, den Aktivisten der Untergrundorganisation.

Von Daqing und Liaoyang inspirieren ließen sich die Bergarbeiter in den Kohlerevieren von Fushun und Fuxin (Liaoning). Tausende blockierten Mitte März Zuglinien, um gegen angekündigte Entlassungskonditionen zu protestieren. Um die aus Daqing und Liaoyang bekannte Verhaftung von Aktivisten zu erschweren, wurden Transparente und Schilder aufgestellt, die Ort und Zeit von Aktionen bekannt gaben; auf den Demos selbst gab es weder Schilder noch Parolen.

Die Regierung legte im Jahr 2002 ein neues Sozialprogramm auf, um die Binnennachfrage zu erhöhen und dem xiagang-Problem die Spitze zu nehmen: verstärkte Einrichtung von staatlichen Arbeitsämtern (die zum Teil die Freistellungslöhne verteilen und Arbeit vermitteln sollen), Erhöhung des Lohns der Staatsbeschäftigten, usw.

2007 richtete die Frau des zu 7 Jahren Haft verurteilten Yao Fuxin eine Petition zur Freilassung ihres Mannes an den Nationalen Volkskongress. Seine Haftbedingungen sind außerordentlich hart und seine Gesundheit ist kaputt. Die Petition wurde von mehr als 900 seiner ehemaligen KollegInnen unterzeichnet.

 

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