Erzählung: Ren – “Ich mach das nur meiner Freundin wegen mit”

von Ren und Li Li


[Erzählung aus der chinesischen Fassung des Buches von Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013]

Mein Vater stammt aus Suzhou in der Provinz Anhui. Als er bei der Armee in Huai’an war, lernte er meine Mutter kennen, und die beiden heirateten. Dann kamen ich und meine ältere Schwester. Die Familie hatte schwere Zeiten zu ertragen, weil die paar Mu karges Land, von denen wir lebten, uns keineswegs alle ernähren konnten. Deswegen entschieden die Eltern, zum Arbeiten loszuziehen. Sie ließen uns in der Obhut der Großeltern väterlicherseits. Ich wurde also zu einem der zurückgelassenen Kinder. Meine Eltern waren das ganze Jahr über unterwegs und kamen nur ein Mal im Jahr, zum chinesischen Neujahrsfest, nach Hause. Meine Eltern kenne ich also gar nicht gut, während ich meinen Großeltern sehr nahe stehe.

Später arbeitete mein Vater in Beijing als Leiter einer Gruppe von Wachleuten. Er verdiente monatlich 3.000 bis 4.000 Yuan. Die Eltern meiner Mutter eröffneten in Huai’an einen Laden, und da es an helfenden Händen fehlte, riefen sie meine Mutter nach Huai’an, damit sie sich um das Geschäft kümmerte. Meine Eltern waren der Meinung, dass sich das Leben in Huai’an besser entwickelte als in Anhui. Als ich in der fünften Klasse war, brachten mich die Eltern deswegen nach Huai’an, wo sich die gesamte Familie niederließ.

Anfangs war ich auf der Schule ein Quereinsteiger. Das Leben war ungewohnt, und ich wollte immer nur zurück in die alte Heimat. Ich vermisste meine Großeltern väterlicherseits und meine Freunde dort. Deswegen lief ich alle paar Tage weg, um nach Anhui zu kommen, wurde aber jedes Mal von Verwandten zurückgeholt. Langsam gewöhnte ich mich dann an Huai’an und stritt mich nicht mehr den ganzen Tag über die Rückkehr in die alte Heimat. Ich stand den Großeltern väterlicherseits aber weiterhin nahe, schließlich hatten sie sich um mich gekümmert, seit ich klein war. Zum chinesischen Neujahrsfest sind meine Eltern in Huai’an, ich dagegen fahre nach Anhui zurück und verbringe es mit meinen Großeltern.

Auf verschlungenen Wegen zu Foxconn

Ursprünglich wollte ich bei Foxconn arbeiten, weil sowohl meine Freundin als auch meine Freunde bei Foxconn in Kunshan arbeiteten. Das war damals das erste Mal, dass ich loszog, um zu arbeiten. Ich wollte das also mit ihnen zusammen machen.

In Kunshan angekommen brachten mich die Freunde zur einer Vermittlungsagentur. Ich musste 200 Yuan zahlen. Die von der Agentur sagten, sie hätten Leute bei Foxconn und würden uns dort einen Job besorgen. Ich war gerade erst losgezogen und hatte zu viel Vertrauen zu anderen. Was sie auch sagten, ich glaubte es. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, wollte die Agentur nur Geld einnehmen. Sie helfen dir doch überhaupt nicht, diese Sachen zu regeln? Ob du bei Foxconn rein kommst, hängt voll und ganz von deinem eigenen Glück ab! Erst beim dritten Versuch wurde ich von Foxconn eingestellt, und damit hatte ich Glück. Andere haben es schon sieben oder acht Mal versucht und immer noch nicht geschafft!

Als ich das erste Mal zum Einstellungsgespräch bei Foxconn erschien, waren dort viele Leute. Ich stellte mich hinten an, kam aber unerwartet nicht mal durch das Foxconn-Tor. Beim zweiten Mal war ich besser vorbereitet und stellte mich vorne an. Damit hatte ich es endlich durch das Foxconn-Tor geschafft! Allerdings verlangten die Foxconn-Angestellten, dass wir unsere Ärmel hochrollen, um nachsehen zu können, ob wir Narben hatten. Da ich Brandnarben am Arm hatte, wurde ich auch dieses zweite Mal abgelehnt. Bis heute kann ich mich daran erinnern, wie der Verantwortliche meine Brandnarben sah und sagte: “Du da, geh raus!” Diese drei Worte wirkten verletzend und erniedrigend. Das dritte Mal musste ich meine Arme wieder vorzeigen, aber ich war clever genug, mich zu verstecken. Als wir uns anstellten, mussten wir drei Reihen bilden. Ich war in der zweiten Reihe. Als er kurz vor mir war, duckte ich mich weg und stellte mich in die Reihe dahinter. Als er vorbei war, ging ich wieder zurück in die Reihe davor. Ich hätte nicht erwartet, dass ich damit durchkommen würde! Später bekam ich den Bericht der medizinischen Untersuchung und die Prüfungsbescheinigung. Zurück zu Hause war ich sehr aufgeregt. An jenem Tag feierten ich und meine Freundin sogar mit einer Flasche Alkohol und vielen leckeren Sachen zum Essen.

Beim Fitnesscheck am nächsten Tag vertraute ich voll und ganz meinem Körper. Ich machte mir gar keine Sorgen. Danach kam die Prüfung. Ich hatte gehört, dass man nur saubere Zeichen schreiben und alles ausfüllen muss, und dann bestünde man den Text. Ich kam dann auch locker durch. Einige Leute schafften die Prüfung allerdings nicht und wurden abgelehnt. Da war eine 16 oder 17 Jahre alte Frau, die die Prüfung nicht bestand und abgelehnt wurde. Sie wollte aber unbedingt bei Foxconn anfangen und wandte sich unter Tränen an den Prüfungsleiter. Der sagte ihr aber, dass er ihr nicht helfen könne. Ich hatte mit der Frau gar nichts zu tun, aber als ich sie da so sah, tat mir das in der Seele weh. Ich unterstützte sie also, als sie den Prüfungsleiter bat, ihr zu helfen. Ich bot sogar an, dieser Frau meine Stelle zu geben. Der Prüfungsleiter meinte aber, er hätte keine Befugnis, so etwas zu entscheiden. Schlussendlich durfte die junge Frau nicht bleiben. Ich habe immer noch ihren bemitleidenswerten Gesichtsausdruck vor Augen…

Konflikte mit der Linienführerin

In der Zeit in Shenzhen dachte ich jeden Tag daran, wie ich mit meiner Freundin oder anderen Freunden zusammen an einer Produktionslinie eingesetzt werden könnte. Ich habe nicht erwartet, dass schließlich niemand von uns zusammen eingesetzt werden würde. Am ersten Tag war die Arbeit relativ entspannt, und ich lernte die Linienführerin etwas kennen. Sie sah jung und hübsch aus, und ich dachte, dass sie in Ordnung sei. Ich hörte zwar von anderen, dass sie nicht okay ist, aber ich wollte das nicht wahrhaben. Erst nachdem ich eine Zeitlang dort gearbeitet hatte, erkannte ich, was für ein bösartiger Mensch sie ist.

An der Produktionslinie war es langweilig. Ich nahm ein unbedeutendes Einzelteil vom Band und legte es woanders hin. Ich musste immer wieder die gleiche Bewegung ausführen und bis zum Schichtende die ganze Zeit sitzen. Wenn ich zwischendurch auf die Toilette wollte, musste ich bei der Linienführerin um Erlaubnis fragen. Einmal geriet ich mit der Linienführerin aneinander, als ich sie fragte, ob ich zur Toilette dürfe. Sie sagte: “Du darfst nicht gehen!” Ich erwiderte: “Wenn ich nicht gehen war, dann vergiss es!” Danach saß ich aus Trotz rum, schlug die Zeit tot, arbeitete mal hier und da und machte dann wieder Pause. Als die Linienführerin das mitbekam, wurde sie schrecklich wütend und rief: “Was machst du da?!” Ich erwiderte: “Du weißt, was ich hier mache!” Alle Leute an unserer Produktionslinie schauten zu uns beiden herüber. Sie holte dann jemand, der mich an der Linie ersetzte und zog mich raus. Draußen fingen wir wieder an zu streiten. Schließlich musste ich zur Strafe den Boden wischen. Erst war es ihr hier ist zu dreckig, also musste ich hier saubermachen; dann war es ihr dort zu dreckig, und ich musste hinüberlaufen und dort saubermachen. Ich musste ihren Affen spielen. Kaum hatte ich die Hälfte geputzt, rief sie mich wieder und wies mich zurecht. Ich wurde wütend, warf den Besen hin und ging auf die Toilette. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten und dachte mir: “Du bist doch nur eine kleine Linienführerin. Hast du überhaupt die Befugnis, mich rauszuschmeißen?” Später stellte mich eine andere Linienführerin zur Rede. Es machte mir Angst, als sie sagte: “Wir als Linienführer haben nicht die Befugnis, dich zu entlassen. Wir können dir aber weniger Überstunden zuweisen und deine Schichten ohne Bezahlung verlängern. Wir können dich sogar für immer von den Überstunden ausschließen. Dann musst du jeden Monat mit dem Grundlohn von 960 Yuan auskommen!” Eigentlich war mir das mit den 960 Yuan egal, aber wenn ich und meine Freundin dieselbe Schicht machen und sie verdient 1.000 bis 2.000 Yuan im Monat, ich aber nur 960 Yuan, ist das nicht okay. Meine Freunde fänden das außerdem komisch und könnten sich über mich lustig machen, wenn ich jeden Tag um fünf Uhr Feierabend hätte und am Samstag und Sonntag nicht arbeitete. Nachdem mir das klargeworden war, dachte ich: Dieses Mal musst du dich zurückhalten! Ich setzte also ein reuiges Gesicht auf und bat die Linienführerin um Verzeihung. Schließlich warnte sie mich: “Das ist aber das letzte Mal. Das darf nicht wieder passieren!”

Als ich zur Linienführerin hinüberging und mit gesenktem Kopf meine Fehler eingestand, spürte ich, wie mein Blut vor Wut brodelte. Am liebsten hätte ich der Linienführerin eins mit einer Bratpfanne übergezogen, aber ich dachte an meine Freundin und nahm alles hin.

Die Linienführerin hatte es fortan auf mich abgesehen. Wenn ich um einen freien Tag bat, lehnte sie meistens. Einmal, als ich erkältet war, gab sie mir einen halben Tag frei, nur um mir danach ohne Vorwarnung einen Fehltag einzutragen! All dies konnte ich ja noch ertragen, aber dann verlängerte sie meine Schichten und reduzierte meine Überstunden. Um sich mit den Vorgesetzten gut zu stellen, wollte sie, dass ihre Linie effizienter arbeitet als andere. Oft arbeiteten wir fünf Stunden länger, sie schrieb uns aber nur drei Überstunden auf. Wenn ich länger arbeite, will ich auch mehr Geld verdienen, so ist das normal und richtig. Es ist unerträglich, wenn sie mir auch noch das mit Schweiß und Blut verdiente Geld kürzt!

Täglich diese öde Arbeit bei Foxconn, da wird dein Kopf ist leer und du bist wie eine Maschine. Das ist so langweilig. Darüber hinaus machte mich die Linienführerin ab und an runter, und ich bekam weniger Überstunden bezahlt. Oft hatte ich schlechte Laune. Wenn ich mich meiner Freundin gegenüber beschwerte, sage sie: “Ich halte das aus, warum hältst du das nicht aus?” So kam es gar zum Streit, und ich erzählte ihr einfach nicht mehr davon.

Manchmal konnte ich es nicht mehr aushalten und ging ins Internetcafé und surfte und chattete, oder ich ging zum Karaoke und sang. Einmal wurde ich in der Fabrik angemacht, und da es zu Hause beim Essen auch mit meiner Freundin Streit gab, ging ich zum Karaoke, um Dampf abzulassen. An dem Abend musste ich erst alle starken und sentimentalen Lieder von Anfang bis Ende singen, bevor es mir besser ging.

Zukunftspläne

Ich konnte nicht weiter bei Foxconn bleiben und kündigte. Als meine Freundin das mitbekam, sagte sie nichts mehr. Danach ging ich in die hiesigen Internetcafés und fragte, ob sie Webmaster einstellten. Ich nahm eine dieser Stellen an. Am Anfang hatte ich ehrlich gesagt gar keine Ahnung vom Webmastern, aber ich hatte vorher schon mit Computern zu tun gehabt und war bereit und in der Lage, was zu lernen. Nach einigen Tage hatte ich das im Griff. Hier geht es einigermaßen entspannt zu, und der Chef ist auch in Ordnung.

Ich will aber nicht ewig als Webmaster arbeiten. Ich plane, ein Jahr hart zu arbeiten und am Ende des Jahres nach Huai’an zurückzukehren, um ein Geschäft zu eröffnen. Vielleicht werde ich mich dann auch mit meiner Freundin verloben. Wenn ich später mein Leben mit ihr verbringen sollte, sind wir besser abgesichert, wenn ich ein Geschäft eröffnet habe. Tatsächlich konnte ich bisher nicht viel Geld sparen, höchstens 700 Yuan pro Monat. Wenn ich das Geschäft eröffne, brauche ich auch etwas von dem Geld, um meine Familie mehr zu unterstützen.

 

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