Foxconn: Ich musste gehen – Ein Manager erzählt

von Li Changjiang


[Aus der chinesischen Fassung des Buches von Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013. Der Text ist auch in der PDF-Broschüre iSlaves – Weitere Texte dokumentiert.]

Ich komme aus Henan und habe Industrial Engineering (IE) studiert.1 Nachdem ich im Jahr 2003 mein Studium beendet hatte, ging ich direkt zu Foxconn. Ich blieb durchgängig bis 2007 und zählte schon als langzeitbeschäftigter Angestellter. Ich war in der Produktionsleitung eingesetzt und bin am besten mit der Produktion von Apple MP3-Playern und HP-Produkten vertraut.

Wie macht Foxconn Gewinne?

Wie verdient die Firma Geld? Viele Unternehmen stellen sich diese Frage. Foxconn verdient vor allem auf zwei Arten Geld: zum einen durch die Auftragsherstellung an sich, zum anderen dadurch, dass Foxconn so viele Einzelteile wie möglich selbst produziert und Prototypen selbst entwickelt, statt diese Aufgaben an andere Firmen abzugeben.

Foxconn gehört heute zu den 500 größten Unternehmen der Welt und hat sich weltweit einen Namen gemacht, aber die Firma muss weiter um die Aufträge großer Marken wie Apple oder HP kämpfen. Nur wenn Foxconn deren Aufträge erhält, kann die Firma ihre Profite bewahren. Um die Aufträge zu erhalten, muss Foxconn seine Preise so niedrig wie möglich halten. Die Auftragsgewinnung liegt im Verantwortungsbereich des leitenden Managers der Unternehmensgruppe, seines Stellvertreters usw., die das mit höheren Managern oder Projektmanagern besprechen. Sie stehen in der Hierarchie relativ weit oben. Die IE-Ingenieure spielen innerhalb der Unternehmensgruppen als Unterstützer der Auftragsakquise eine wichtige Rolle. Eine unserer Aufgaben besteht darin, die Produktionskosten abzuschätzen und den Markenfirmen einen Preis zu nennen.

Ich rechne das mal für einen HP-Drucker als ein mir vertrautes Beispiel durch. Mit denen kenne ich mich aus. An der Herstellung eines jeden Druckers kann Foxconn etwa zehn US-Dollar verdienen, umgerechnet auf Renminbi sind das über siebzig Yuan. In diesen über siebzig Yuan sind enthalten: die Kosten für Grund und Boden, Verwaltungskosten, Wasser- und Stromgebühren, die Abschreibung der Maschinen und natürlich die Arbeitskosten. Was übrig bleibt, ist der Gewinn für Foxconn. Die Arbeitskosten machen gerade mal zwanzig bis dreißig Prozent der Produktionskosten aus, also irgendwo zwischen 10 und 20 Yuan.

In auftragsreichen Zeiten hat Foxconn Bestellungen für 2,5 bis 2,6 Millionen Drucker im Monat. Die Druckerproduktion umfasst vor allem die Herstellung der Gehäuse, des Tintengefäßes und der Platine sowie die Montage. Im Allgemeinen werden die meisten Arbeitskräfte in der Platinenherstellung und der Montage eingesetzt. Die Herstellung der HP-Drucker erfolgt an zwanzig SMT-Linien,2 etwa fünfzehn bis zwanzig Bestückungslinien und 24 Montagelinien. In der Regel arbeiten an einer SMT-Linie 10 bis 13 und an einer Bestückungslinie 15 bis 17 Leute. Die meisten sind an den
Montagelinien beschäftigt, pro Linie über 200 ArbeiterInnen. Alle Produktionslinien arbeiten im Zweischichtsystem und mit Wechselschichten. Insgesamt arbeiten an den SMT-Linien etwa 600 Leute, an den Bestückungslinien noch einmal 600 und an den Montagelinien ungefähr 10.000. Zusammengenommen sind das über 11.000 Beschäftigte. Wenn wir noch die Beschäftigten mit unterstützenden Tätigkeiten dazu zählen, werden etwas weniger als 20.000 Leute für die Produktion der HP-Drucker gebraucht.

Um die Gewinne zu maximieren, muss Foxconn die Arbeiterlöhne drücken. Bleiben wir beim HP-Beispiel. Ein HP-Drucker muss im Durchschnitt für mehr als 500 Yuan verkauft werden. Das monatliche Auftragsvolumen muss über einer Milliarde Yuan liegen. Ist das nicht ein erstaunlicher Wert? (Er lacht.) Die Arbeiterlöhne sind dagegen vergleichsweise niedrig. Sie machen gerade mal vier Prozent des Auftragsvolumens aus. In Foxconns Preis für HP werden die Arbeiterlöhne mit 2.500 Yuan pro Monat pro Arbeiterin angesetzt und auf der Grundlage von fünf Tagen die Woche mit je acht Stunden Arbeit berechnet. In Wirklichkeit sind die Arbeiterlöhne keineswegs so hoch. Chongqing ist die zentrale Produktionsstätte für HP-Drucker. Dort liegt der Grundlohn der ProduktionsarbeiterInnen bei nur 1.240 Yuan, also viel niedriger als
der für den HP-Preis kalkulierte.

Foxconn verlagert große Produktionsteile von den Küstenregionen ins Landesinnere. Ein Grund dafür ist, dass die Arbeitskosten dort viel niedriger sind als in Shenzhen. Vor allem nach der Anpassung des Grundlohns in den Fabrikkomplexen Shenzhens ist der Vorteil der niedrigen Arbeitskosten im Landesinneren noch deutlicher.

Apples Management ist am strengsten

Im Jahr 2007 wollte Foxconn in Yantai, Provinz Shandong, weiter expandieren. Die Firma verlangte, dass ich nach Yantai gehe und in der dortigen Fabrik arbeite. Ich war darauf überhaupt nicht vorbereitet und wollte die mir bekannte Arbeitsumgebung nicht verlassen. Wenn die Firma aber sagt, du musst dorthin gehen, dann musst du dorthin gehen. Es gab keinen Spielraum für Verhandlungen. Deswegen blieb mir nur die Kündigung. Ich arbeitete dann über ein Jahr lang woanders und kehrte 2008 zu Foxconn in Shenzhen zurück. Erst wurde ich Qualitätsingenieur für Apple und andere Produkte und später Qualitätsmanager.

Da Foxconn ein Auftragshersteller ist, hat das Unternehmen keine unabhängige Unternehmensstrategie. Die wichtigen Materialien und Komponenten werden alle von den Kunden bestimmt, und die Kunden bestimmen auch die Zulieferer. Ich habe gehört, dass der frühere Leiter der IDPBG-Unternehmensgruppe Jiang Haoliang, der einmal als Nachfolger
Terry Gous gehandelt wurde, auf Verlangen Apples abgesetzt wurde, weil er einmal bei der Herstellung von Apple-Geräten eigenmächtig entschieden hatte, Material einer einheimischen Firma einzusetzen, ohne die Zustimmung Apples einzuholen. Terry Gou versetzte ihn schließlich, und heute ist er der Leiter einer kleinen Abteilung mit
nur 10.000 Beschäftigten.

Bei der Produktionsleitung haben verschiedene Kunden auch verschiedene Anforderungen. Im Allgemeinen wollen japanische Kunden wie Sony, dass ihre Geräte vollständig in einem Produktionsbetrieb fertiggestellt werden. US-amerikanische Unternehmen sind anders. Geräte von HP oder Apple werden in mehreren Produktionsbetrieben gefertigt. Die
Herstellung der Gehäuse und der Platine sowie die Montage finden in unterschiedlichen Betrieben statt. Der eine Betrieb muss Waren liefern, der andere Betrieb nimmt sie in Empfang. So werden viele Glieder in die Produktionskette eingefügt, was auch die Kalkulationskosten erhöht. Dieses Verfahren hat aber auch Vorteile. Vor allem ist die
Qualitätskontrolle gesichert, weil die Komponenten zwischen verschiedenen Herstellern hin- und herwechseln und durch die jeweilige Qualitätskontrolle kommen müssen. Die gegenseitige Kontrolle der Produktionsbetriebe erhöht tatsächlich die Qualität.

Das Apple-Management stellt die höchsten Anforderungen bei den Sicherheitsstandards. Im Fabrikkomplex in Shenzhen-Longhua gibt es zum Beispiel eine Apple-Produktionslinie mit über 20.000 ArbeiterInnen. Das Sicherheitspersonal umfasst mehr als 600 Leute. In der Produktionshalle für das iPhone hat nicht nur jedes Produktionsteam einen eigenen Sicherheitsmitarbeiter, die Zentrale Sicherheitsabteilung schickt noch einen weiteren. Das gesamte Fabrikgebäude hat fünf oder sechs Eingangstore. Um hinein zu gelangen, muss man eine genaue Sicherheitsüberprüfung durchlaufen. Das wurde alles von Apple gefordert. Die Beschäftigten dürfen keine
Computer, USB-Sticks, Kameras oder Handys mit in die Fabrikhalle nehmen. Wer Lederschuhe mit Metallknöpfen trägt, kommt man nicht rein. Wer Metall an der Unterwäsche hat, kommt auch nicht rein. Keine Computer reinbringen zu dürfen, ist für uns wirklich hart, lässt sich aber nicht ändern. Man muss selbst überlegen, wie man
damit klarkommen kann. Wer wirklich einen Computer mit reinbringen will, muss zumindest erst die Leiter der Unternehmensgruppe um Erlaubnis fragen.

Hintergrund der Lohnerhöhungen

Im Jahr 2010 stellte die zentrale Personalabteilung Leute ein, und ich ging zum Vorstellungsgespräch. Ich wurde tatsächlich dort angestellt und arbeitete als Berater sowie in IE-Projekten. Da ich in der zentralen Personalabteilung beschäftigt war, kenne ich mich gut mit der Frage der Lohnerhöhungen aus.

Terry Gou hatte versprochen, den Lohn der ArbeiterInnen an den Produktionslinien von 900 Yuan auf 1.200 Yuan zu erhöhen. Kaum eine Woche später kündigte er überraschend an, dass er nochmal von 1.200 Yuan auf 2.000 Yuan erhöht werde. In Wirklichkeit sind die Lohnerhöhungen begrenzt. Nur all jene, die schon ein halbes Jahr bei Foxconn beschäftigt sind bekommen die Lohnerhöhung, aber viele verlassen die Firma, noch bevor sie die sechs Monate voll haben. Im Schnitt verlassen jeden Monat drei Prozent der Beschäftigten die Firma, und am Ende des Jahres können es über zehn Prozent sein. Im Mai und Juni 2010 lag die Fluktuation wegen des Einflusses der Selbstmordserie jeweils über zehn Prozent. Allein in diesen beiden Monaten kündigten etwa dreißig Prozent der ArbeiterInnen, und die neu Eingestellten konnten die Lohnerhöhung im Oktober nicht bekommen. Selbst wenn Beschäftigte ein halbes Jahr bei Foxconn gearbeitet hatten, mussten sie erst eine Prüfung ablegen. Nach der Prüfung wurden sie in vier Ränge A, B, C und D aufgeteilt. Rang A umfasst zwanzig bis dreißig Prozent, Rang B zehn bis zwanzig Prozent, Rang C etwa fünf Prozent. Die mit Rang D hatten Pech und bekamen die Lohnerhöhung nicht.

Es weiteres Problem war, dass die Lohnerhöhungen vor allem den ArbeiterInnen an den Produktionslinien zugute kamen. Das zog den Missmut anderer ArbeiterInnen nach sich. Die Firma hatte geplant, dass die Arbeitsplätze der Beschäftigten in Typen A, B und C aufgeteilt werden. Die ArbeiterInnen an den Produktionslinien wurden als Typ A
oder B klassifiziert, aber in einigen Abteilungen gab es noch LagerarbeiterInnen, MaschinenführerInnen, PförtnerInnen usw., die alle Typ C bekamen. Sie gehören zwar alle zur Produktionsabteilung, bekamen aber keine Lohnerhöhung. Die Entscheidungsgewalt über die Aufteilung der Arbeitsplätze lag in den Händen der verantwortlichen
Vorgesetzten. Die unterschiedlichen Vorgesetzten machten nicht die gleiche Einteilung. Die Vorgesetzten einiger Abteilungen klassifizierten die LagerarbeiterInnen und Verwaltungskräfte auch als Typ A oder B. So kamen sie auch in den Genuss der Lohnerhöhung. In anderen Abteilungen wurden sie als Typ C eingestuft und konnten so höchstens 1.600 Yuan erreichen. Ein anderes Problem waren die Führungskräfte auf der Produktionsebene wie Linienführer, Gruppenleiter, aber auch Beschäftigte ersten, zweiten und dritten Ranges. Sie waren alle von der Produktionslinie aus aufgestiegen, bekamen aber keine Lohnerhöhung. Der Grundlohn der höheren Angestellten, die vorher sehr viel mehr verdient hatten, lag bei 2.200 bis 2.500 Yuan, der Abstand zum erhöhten Lohn der ProduktionsarbeiterInnen war nun also nur noch gering.

Die Lohnerhöhung brachte also einige Verwirrung mit sich. Als ich in der Unternehmensgruppe für die Produktion von Sonys PSP-Spielkonsole arbeitete, kam es zu einem Vorfall. Der Leiter der Unternehmensgruppe weigerte sich, die Löhne zu erhöhen. Die Verwaltungsangestellten legten daraufhin die Arbeit nieder, woraufhin er sofort der Lohnerhöhung zustimmte. Die Angestellten waren aber nicht zufrieden und kamen am nächsten Tag nicht zur Arbeit. Er stimmte dann einer weiteren Lohnerhöhung um 300 Yuan zu, und damit war die Sache erledigt.

Ich weiß, dass es bei Foxconn damals viele Meinungsverschiedenheiten gab. Viele höhere Manager waren nicht bereit, (die Löhne zu erhöhen,) zum Beispiel bei den Unternehmensgruppen CMMSG oder CDPBG. Da Terry Gou sie schon verkündet hatte, mussten sie das aber intern irgendwie regeln. Das lief zum Beispiel über die Erhöhung der Arbeitslast. UPH (units per hour) ist die von den IE-Ingenieuren kalkulierte Produktionsmenge pro Stunde. In vielen Unternehmensgruppen wurde diese Zahl regelmäßig verändert und dabei oft erhöht und selten gesenkt. Zum Beispiel konnte sie von 250 auf 270 angehoben werden und danach noch einmal auf 300. Eine weitere Methode war die Kontrolle der Überstunden. Nach der Selbstmordserie hatte Foxconn die Schichtfrequenz erhöht und so die Dienstpläne gestrafft. Zum Beispiel wurden aus fünf 8-Stunden-Tagen vier 10- oder 11-Stunden-Tage. Danach waren drei Tage arbeitsfrei und eine andere Schicht übernahm die Arbeit. Dadurch musste Foxconn keine
Überstunden bezahlen und konnte gleichzeitig die Produktion rund um die Uhr aufrechterhalten. Sie schafften es sogar, die Arbeitskosten zu senken.

Eine weitere Methode war die Verlagerung ins Landesinnere, d.h. die Verringerung der Beschäftigten in den Küstenregionen und die Anwerbung möglichst vieler neuer Beschäftigter im Landesinneren. Die dortige Konzernleitung versetzt jetzt nach und nach Leute. Dabei greift sie vor allem auf zwei Methoden zurück: 1. Die Beschäftigtenzahl wird zunächst mal beschränkt; das bedeutet, dass in Shenzhen-Longhua niemand mehr eingestellt wird. Einige Leute, die in Shenzhen arbeiten, hat Foxconn für die Projekte in Chengdu oder Zhengzhou beschäftigt, sodass sie zwar in Shenzhen arbeiten, aber nur den Lohn von Beschäftigten in Chengdu oder Zhengzhou bekommen. Gleichzeitig wurden Fabriken verlagert. Die iPhone-Produktion ging zum Beispiel nach Zhengzhou, ein Teil der Produktion des iPad nach Chengdu. Als das iPad nach Chengdu kam, wurden zunächst nur 3.000 Leute verlagert. Sie hatten vorher in Shenzhen gearbeitet, und als sie für den Umzug nach Chengdu mobilisiert werden sollten, wurden sie
hereingelegt. Der Chef versprach ihnen, dass es keine Lohnkürzungen geben werde. Foxconns Unternehmenspolitik ist aber, dass bei einer Verlagerung die Löhne gesenkt werden. Man kann zwar den Lohn von 2.000 Yuan so weit wie möglich erhalten, muss aber einen Teil davon als Zulage deklarieren. Der Grundlohn liegt bei lediglich 1.200 oder 1.500 Yuan. Die jetzt in den neuen Fabriken beschäftigten ArbeiterInnen sind alle nach September eingestellt worden. Sie haben keine Möglichkeit, den erhöhten Lohn zu bekommen.

Auseinandersetzungen bei Foxconn

Da es bei Foxconn in Chengdu noch drunter und drüber ging, schickte mich mein Chef im Januar 2011 zum Arbeitseinsatz dorthin. Ich sollte die Personalabteilung in Chengdu unterstützen. Vor allem sollte ich die Situation erforschen und bewerten, um einen Plan zur Steuerung der “Menschenströme” im Fabrikkomplex von Chengdu aufzustellen
und zusammen mit der zentralen Versorgungsabteilung die Probleme mit der unzureichenden Verpflegung, den fehlenden Unterkünften, den Staus bzw. langen Schlagen usw. zu lösen. So ging ich also Anfang diesen Jahres von Shenzhen zu Foxconn in Chengdu. Es dauerte nicht lange, bis ich in der Fabrik auf viele Probleme stieß. Jedes
Jahr zahlt Foxconn am 15. oder 16. Januar die Jahresendprämien. In Chengdu waren die Prämien aber nach dem 20. Januar immer noch nicht rausgegeben worden. Etwa 2.000 ArbeiterInnen verweigerten daraufhin die Arbeit und gaben ihrer Unzufriedenheit Ausdruck. Ich hörte, dass auch zwei teilgenommen haben sollen, die nicht bei Foxconn angestellt waren. Die ArbeiterInnen streikten einen Tag. Am 25. erhielten sie dann schließlich ihre Prämien. Danach sollen mehr als zwanzig ArbeiterInnen gekündigt haben.

Vor nicht langer Zeit stifteten bei Foxconn in Chengdu andere ArbeiterInnen Unruhe. Dabei ging es vor allem um die zu niedrigen Löhne. Die über 200 Leute gehörten zur TMSG-Unternehmensgruppe. Sie hatten ursprünglich in Shenzhen gearbeitet und sollten nach sechs Monaten die Lohnerhöhung bekommen. Plötzlich wurden sie dann der
Hongchaozhun-Unternehmensgruppe zugewiesen und sollten nach Chengdu verlagert werden. Die Lohnerhöhung löste sich damit in Luft auf. Darüber hinaus sollten alle, egal ob ProduktionsarbeiterInnen, Linienführer oder Maschinenführer, ihre Posten und Lohneinstufungen verlieren und von Null auf neu anfangen. Klar, dass sie nicht mehr
arbeiten wollten.

Am 2. März versammelten sie sich um die Mittagszeit am Eingang zur Kantine des südlichen Fabrikkomplexes und blockierten den Zugang. Sowohl die zentrale Personalabteilung Foxconns als auch die Personalabteilung der Unternehmensgruppe schickte zahlreiche Leute hin, um den ArbeiterInnen das Vorgehen des Unternehmens zu
erklären. Danach schickten sie auch noch dreißig Werkschützer und Sicherheitsleute. Sie brachten die ArbeiterInnen zunächst in Foxconns Anwerbezentrum in der Shuangbai-Straße und später in das Deyuan-Wohnheim, aber die Sache konnte nicht geregelt werden.

Auch die Situation in den Wohnheimen ist besonders prekär. Foxconn schafft es nicht, sich darum zu kümmern. Einmal trafen sich einige Leute vor einem Wohnheim
im Wohnheimbezirk Nordwest von Foxconn in Chengdu, unterhielten sich und tranken Alkohol. Leute aus oberen Stockwerken schüttenten Wasser herab und trafen die unten Stehenden. Denen da unten gefiel das natürlich gar nicht, und sie liefen alle Stockwerke ab auf der Suche nach den Schuldigen, um sich mit ihnen zu prügeln. Die Sache
eskalierte im ganzen Gebäude, und viele Leute begannen zu schreien und Sachen wie Flaschen runter zu werfen. Leute vom Management und der örtlichen Polizei kamen schnell vorbei, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Die ganze Nacht schmissen jedoch weiter Leute Flaschen aus dem Gebäude nach unten. Sie waren offensichtlich mit
irgendwas unzufrieden, aber es wurden keine Forderungen gestellt. Sie schmissen einfach weiter. Ich habe später gehört, dass die höhere Managementebene von Foxconn in Chengdu auf einem Treffen von Terry Gou deutlich zurechtgewiesen wurde.

Beförderungen und Versetzungen

Für die Beschäftigten ist es äußerst schwierig, befördert zu werden, und die Fluktuation von ProduktionsarbeiterInnen ist sehr hoch. Neu eingestellte MitarbeiterInnen können allerdings, wenn sie weiblich, geschickt und vielleicht auch nett und charmant sind, relativ schnell zu MaschinenführerInnen befördert werden. Um Linienführer zu
werden, müssen sie aber bereits ein Jahr dort gearbeitet haben. Um vom Linienführer zum Gruppenleiter aufzusteigen, muss man mindestens zwei oder drei Jahre warten. Noch schwieriger ist es, vom Gruppenleiter zum Abteilungsleiter zu werden. Man braucht dafür mehr als zehn Jahre Arbeitserfahrung. Es gibt auch Leute, die schon mehr als zehn Jahre bei Foxconn arbeiten und immer noch ProduktionsarbeiterInnen oder Linienführer sind. Die Lohnerhöhungen sind ebenfalls äußerst beschränkt. Nur mit der Firmenzugehörigkeit kann sie steigen, aber nur gering. Jedes Jahr kommen gerade mal ein paar Zehner dazu. Das ist alles. Wenn du aufsteigen willst, musst du dich auch um die Vorgesetzten kümmern und deine Beziehungen in die Managementebene pflegen. Deswegen sagen wir, dass Stiefellecker bei Foxconn leichter die Leiter hoch kommen. Ich habe mitbekommen, wie in einer Abteilung ein kleiner Fisch eingestellt wurde, der vorher offenbar Schwarzhändler für Zugtickets gewesen war und keine
Ausbildung hatte. Er verstand es aber, seine Beziehungen spielen zu lassen und den Vorgesetzten zu schmeicheln, sodass er schnell aufgestiegen ist.

Mein unmittelbarer Vorgesetzter und ich wurden aussortiert, weil wir keine guten Beziehungen nach oben hatten. Ich kam Anfang Januar nach Chengdu und blieb bis zum 28. des Monats. Anfangs sollte ich das Problem mit der Kantinenverpflegung regeln und überlegte, wie ich die Sache durch Steuerung des Menschenstroms lösen kann. Danach kümmerte ich mich um die Situation in den Wohnheimen und die Situation vor und nach den Schichten. Die zentrale Versorgungsabteilung brauchte Informationen
dazu. Bis vor dem Neujahrsfest hatte ich alle Daten zusammengestellt. Neujahr verbrachte ich zu Hause, und am 8. Februar begann ich wieder mit der Arbeit. Bis Ende Februar war ich mit allem fertig. Die obere Führungsebene legte unsere Lösungsvorschläge jedoch zur Seite. Sie hatte alle Informationen und gab sie an andere betroffene Betriebe weiter, aber die Vorschläge wurden zurückgehalten. Es blieb unklar, ob sie umgesetzt werden oder nicht. Später verlangte Foxconn ohne Rücksprache, dass ich langfristig in Chengdu bleibe. Ich hatte meinen hukou bereits nach Shenzhen verlegt und alle meine Freunde waren dort. Ich wollte nicht nach Chengdu umziehen. Ich entschied mich also Ende März, Urlaub zu machen und dann zur Arbeit nach Shenzhen zurückzukehren.

Das Management war zwar nicht einverstanden, aber ich ging trotzdem nach Shenzhen zurück und trat zur Arbeit an. Die Verantwortlichen wiesen mir aber keine Aufgaben zu. Sie zeigten mir die kalte Schulter und forderten mich auf zu kündigen. Ich musste die Schlüssel abgeben, und sie verweigerten mir den Zugang zum Büro. Sie setzten alle Mittel ein, um mich zur Kündigung zu zwingen. Das war noch nicht das Ende. Am 1. April ging ich um 7:40 Uhr wie üblich zur Arbeit. Am Eingang von Foxconn in Longhua beschlagnahmte der Werkschutz meinen Firmenausweis. Die Sache war so weit eskaliert, dass mir nur die Kündigung blieb.


Fußnoten

1 Beim sogenannten industrial engineering geht es um die genaue Kontrolle des gesamten industriellen Produktionsprozesses, die Maximierung der Produktivität und die Reduzierung der Produktionskosten. IE-Ingenieure können die notwendige Zeit eines jeden Arbeitsprozesses auf die Sekunde genau bestimmen und entsprechend für jeden Produktionsabschnitt, jede Linie und jeden Beschäftigten die täglichen Arbeitsaufgaben festlegen. Dank der IE-Manager kann Foxconn ständig die Produktionsmenge erhöhen und die zahllosen Foxconn-Beschäftigten dazu bringen, die stressige und monotone Arbeit weiter zu erledigen.

2 SMT = Surface Mounted Technology, Oberflächenmontage. Bauelemente werden mit Maschinen direkt auf die Platinen gelötet. (Anm. d. Ü.)

 

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